Sind wir nun gluecklich
Viele Menschen haben an ihren Grundsätzen festgehalten, während sich alles um sie herum verändert hat. Nicht wenige Medien und Medienleute sind zu Kollegen im Sinne dieses Leitsatzes geworden, obwohl wir es immer noch häufig mit leeren Phrasen zu tun haben. Man muss einfach daran glauben, dass sich irgendwann etwas ändern wird, auch wenn dieser Prozess schwierig und langwierig ist.
Im Jahr 2008 bin ich vierzig geworden, ein seltsames Alter. Man hält gerade noch den Mantelzipfel der Jugend gepackt und hat doch schon eine Ahnung vom Ende vor sich. Und im Leben heißt es, noch einmal allen Mut zusammenzunehmen und neue Höhen zu überwinden – bloß nicht aufzugeben und abgestumpft den Abhang weiter hinabzuschlittern. Wer in der Lebensmitte angekommen ist, muss abwägen, ob er die Dinge lässt, wie sie sind, oder sie noch einmal in die Hand nimmt.
Also gab ich mir mit vierzig einen neuen Leitsatz: Bewahre den gesunden Menschenverstand, agiere mit Vernunft, suche den Glauben.
Ich weiß natürlich, dass dieser Satz allgemein gilt und seine Verwirklichung noch um einiges schwieriger sein dürfte als die der Losung, die ich mir vor zwei Jahrzehnten gab. Doch bin ich entschlossen, meine zweite Lebenshälfte diesem Leitsatz zu widmen. Zumindest was mich persönlich angeht. Was China betrifft, wird seine Verwirklichung wohl noch etwas länger dauern.
Gesunder Menschenverstand sollte der Definition nach keine komplizierte Angelegenheit sein. Ein Blick auf die Geschichte genügt jedoch, um festzustellen, dass man sich damit schwertut. Ich weiß nicht, wie viele allein deshalb schon ihr Leben lassen mussten. Zum Beispiel die Helden der Kulturrevolution, die dazu verdammt waren, im Namen eines häretischen Zeitalters, in dem die Idee der Vernunft auf den Kopf gestellt wurde, zu Märtyrern zu werden.
Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, was aber nicht heißt, dass es leichter geworden sei, den gesunden Menschenverstand zu bewahren.
In letzter Zeit wird in den Medien, von Fachleuten und im Volk verstärkt der Ruf nach Wahrheit laut. Jeder gibt dabei zu, dass die Wahrheit keine einfache Sache ist. Das stimmt nachdenklich. Das Gegenteil von Wahrheit ist nicht einfach nur die Lüge, es ist auch das Dreschen leerer Phrasen, es sind die Stereotypen oder eigennützige Lobhudelei. Man vermeidet die Wahrheit, weil man fürchtet, dass der andere sie nicht hören will oder es einem zum Nachteil gereicht. Wie man es auch dreht und wendet, am Ende geht es nur um den eigenen Vorteil. Früher dachte ich – im Sinne des Sprichworts »Die neuen Wellen des Jangtse überrollen die alten« –, die Jugend könne alles verändern. Nun aber stelle ich fest, dass unsere jugendlichen Brüder und Schwestern unter dem Druck der Realität wie selbstverständlich die alten verlogenen Redeweisen übernehmen. Doch wie soll man von den Kindern erwarten, dass sie alles anders machen werden, wenn ihre Eltern und Großeltern ihnen kein gutes Vorbild sind? Schließlich gibt es ja auch so etwas wie Vererbung. Wir alle wissen im Grunde, was die Wahrheit sagen bedeutet, aber im Lauf der Zeit hat der gesunde Menschenverstand einfach geflissentlich klein beigegeben.
Ich weiß noch, wie ich einmal nach der Sendung »Nachrichten 1+1« gefragt wurde: »Zeichnet sich ein Nachrichtenmensch nicht vor allem durch besondere Ideen aus?«
Ich musste lachen: »Das Wichtigste sind bestimmt nicht die Ideen, die sind, so wenig wie die Wahrheit, nicht immer und überall zu finden. Als Nachrichtenkommentator braucht man vor allem eine scharfe Beobachtungsgabe, Mut und ein Gespür für den Trend. Ohne diese drei Voraussetzungen taugt man nichts. Für mich haben alle drei mit dem gesunden Menschenverstand zu tun. Und den gilt es nicht erst zu entdecken, sondern zu verteidigen.«
Eins plus eins macht zwei, so einfach ist das. In einem Umfeld, in dem man keinem Druck ausgesetzt ist, geht diese Rechnung auf. Aber wenn die Rahmenbedingungen sich verschieben und man sich etwas davon versprechen kann, aus eins plus eins eine Drei zu machen, und derjenige bestraft wird, der so dumm ist, an der logischen Rechnung festzuhalten, dann sagt man, ohne rot zu werden, jedem dreist ins Gesicht, dass eins plus eins gleich drei ist.
So sieht es gegenwärtig aus. Heute den gesunden Menschenverstand zu verteidigen heißt daher, die Zukunft zu verteidigen. Wenn Lügen, Phrasen und Stereotypen die Oberhand behalten, dann ist es schlecht um uns bestellt. Den gesunden Menschenverstand zu
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