Sind wir nun gluecklich
Geld, Ruhm – was lieben wir so daran?
Vor über fünfzehn Jahren führte ich ein Interview mit Liu Jinbao, der damals noch Direktor der Shanghaier Dependance der Bank of China war. Es war für ihn eine energiegeladene Zeit. An jedem letzten Tag des Jahres, so hieß es, fuhr er mit dem Auto durch den Lichterglanz des nächtlichen Shanghai und fühlte sich eins mit der Pracht der aufstrebenden Metropole. Er hatte Macht. Der junge, tüchtige Finanzier gehörte nach seinem in der Geschäftswelt bewunderten, märchenhaften Aufstieg selbstredend längst zu den »zehn herausragenden jungen Talenten«.
»Für einen Mann sind Macht, Geld, Ruhm und die Religion wichtige Themen. Was ist Ihnen persönlich am wichtigsten?«, wollte ich von ihm wissen.
Ohne langes Zögern antwortete Liu Jinbao offen: »Ich liebe die Macht. Macht, Geld oder Ruhm, das sind erst einmal neutrale Dinge, von Natur aus sind sie weder gut noch schlecht, es kommt darauf an, in wessen Hand sie sind. Glauben Sie nicht selbst, dass sie in der Hand von jemandem, der Ideale hat, besser aufgehoben sind?«
Das war, soweit ich mich erinnern kann, die sinnvollste Aussage in diesem Interview und die für mich am meisten inspirierende.
Das letzte Mal, dass ich ihm begegnete, war dann bei der Eröffnung der Residenz der »Sechzehn Großen«, als er nicht ohne eine gewisse Überheblichkeit zu mir sagte: »Als Präsident des Hongkonger Zweigs der Bank of China steht mein Name jetzt auf jedem Hongkong-Dollar, das muss man erst einmal schaffen …«
Nur kurze Zeit später flogen seine krummen Geschäfte auf, und über Nacht war es vorbei mit seiner Macht und seinem Reichtum. Sein Ruhm blieb, wenn auch unter negativem Vorzeichen. Am Ende wurde er zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Mir bleiben von Liu Jinbao vor allem das Bild des jungen Idealisten auf seiner nächtlichen Fahrt durch Shanghai und seine Interpretation von Macht und Ruhm in Erinnerung. Denn an seiner Antwort ist grundsätzlich nichts Falsches, obwohl er uns durch sein eigenes Beispiel gezeigt hat, dass bei Herausforderungen wie diesen Worte und Taten nicht unbedingt kongruent sind. Was bedeuten also Ruhm, Macht und Geld – und in wessen Hand sind sie gut aufgehoben?
6 Stadt an der Grenze zur Inneren Mongolei und am Gelben Fluss. Im Jahr 1935 war Yan’an das Ziel des »Langen Marsches«, bis 1948 militärische und politische Basis der Kommunistischen Partei Chinas, bis 1945 auch ein wichtiger Stützpunkt koreanischer Exilkommunisten.
Kapitel 3 – Wer wird denn gleich so empfindlich sein?
Seit Beginn der Reformen vor mehr als dreißig Jahren verzeichnet China im Durchschnitt ein alljährliches Wirtschaftswachstum von 10 Prozent. Wenn man die Daten genauer betrachtet, fällt China zwar beim Vergleich der Pro-Kopf-Zahlen hinter viele andere Staaten zurück, aber die Wirtschaftsdaten insgesamt klettern beständig. 2010 überholte China Japan und wird als größte Wirtschaftsmacht der Welt nur noch von den USA übertroffen. Was bleibt uns angesichts dieser Situation noch zu tun?
Es steht zu befürchten, dass uns nicht nur immer mehr Lob, sondern auch immer mehr Kritik zuteilwerden und noch dazu sehr viel übertriebenes Lob und sehr viel überzogene Kritik bis hin zu völlig aberwitzigem Lob und absurder Kritik. In meinen Sendungen habe ich es schon des Öfteren so formuliert:
− Nach langen Jahren der Strapazen und des Kampfs hat China am 1. Oktober 1949 endlich das Zeitalter der Erniedrigung überwunden.
− Nach dreißig Jahren Reformen hat China schließlich das Zeitalter des Hungers überwunden.
− Und in der Zukunft werden wir vermutlich für eine Zeitlang eine nicht allzu kurze Phase der Schelte über uns ergehen lassen müssen.
Wie ich zu diesem Urteil komme? Gibt es bei uns tatsächlich so viele Probleme?
Es ist nicht zu leugnen, dass wir mit vielen offenen Fragen konfrontiert sind, Umweltprobleme, Menschenrechte, Demokratie … wir sind uns vieler dieser Fragen längst bewusst und müssen den Veränderungen Rechnung tragen, auch wenn manche nicht darüber reden und es auch gar nicht so wichtig ist, ob sie darüber reden wollen oder nicht. Denn der Fortschritt und die Veränderungen auf diesen Gebieten gehen uns schon deshalb etwas an, weil sie unser persönliches Glück betreffen. Deshalb haben die vielen Ermahnungen, die uns das Ausland erteilt, zwar oberflächlich etwas mit diesen Fragen zu tun, tatsächlich sind sie für uns aber nicht ausschlaggebend.
Das hat komplexe
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