Sind wir nun gluecklich
einer Dankesrede. Meine erste spickte ich mit einigen Bonmots, die am nächsten Tag auch prompt in der Presse zitiert wurden. Interessanterweise wurde aus meiner zweiten Rede, die wesentlich ernster und scharfzüngiger war, so gut wie nichts zitiert. Deshalb will ich die Kernaussage im Folgenden noch einmal wiedergeben:
»In meinen Augen liegt der nächste Schritt zur Weiterentwicklung des Fernsehens in den Händen derjenigen, die sich bereits Verdienste erworben haben, nicht der jungen Leute und auch nicht derjenigen, die kurz davor stehen, ihren Abschied zu nehmen. Sich Verdienste erworben haben, soll heißen, in der Vergangenheit Reformen in Gang gesetzt und sich dadurch einen Namen gemacht zu haben, sowie zu Macht und Geld gekommen zu sein. Genau deshalb kommt es auf sie an. [Damit schloss ich natürlich auch mich selbst ein.] Wenn diese Personen ihre Privilegien dafür einsetzen, die jungen Leute in ihrem Fortkommen zu unterstützen, wenn sie sich einfach weniger um ihren eigenen Erfolg kümmern, dann fällt es ihnen nicht schwer, offen Wahrheiten auszusprechen und Dinge in die Tat umzusetzen und die nächste Runde von Reformen im Fernsehen einzuläuten. Wenn sie aber bevorzugen, mit dem Hintern statt mit dem Hirn zu entscheiden, und nur an ihre eigenen Interessen denken, dann ist das Fernsehen in einer Krise.«
Und ich hätte anfügen sollen: »Nicht nur das Fernsehen.«
Ich bin einer von denen, die sich Verdienste erworben haben, einer, der von einem jungen Wilden, der überall mitreden wollte und gern mit dem Kopf gegen die Wand rannte, zu »Lehrer Bai« geworden ist, wie man mich manchmal nennt, zu einem Mann in den sogenannten besten Jahren mit leichtem Bauchansatz. Es steht ganz außer Zweifel, dass wir die ersten Reformen nicht nur auf den Weg gebracht haben, sondern auch ihre Nutznießer sind.
Und dann? Jetzt sind wir in der Gegenwart.
Es ist naturgemäß kein Leichtes, nicht nachzulassen. Wenn wir auf die Geschichte zurückblicken, dreht sich alles immer wieder um die gleiche Achse. Die Revolutionäre, gerüstet mit Enthusiasmus und den Idealen einer besseren Welt, revolutionieren ein rückständiges Zeitalter und ruhen sich dann auf den Früchten ihrer Arbeit aus. Und nach einer Weile kommen neue Revolutionäre und stürzen das Schicksal der alten um.
Und das wiederholt sich wieder und wieder. Die Geschichte schreitet im Prozess der Wiederholung voran.
Und wir? Bisweilen sitzen diejenigen, die sich einen Namen gemacht haben, dem Trugschluss auf, sie seien deshalb besonders ausgezeichnet, und machen sich wichtig. Sie haben noch nicht gemerkt, dass die Zeiten sich schnell ändern. Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie früher, und doch meinen diese verdienten Persönlichkeiten, sie hätten die Wahrheit gepachtet, während sie de facto mit der Zeit selbst zu einem Hindernis für den Fortschritt werden. Es ist ihnen nur noch nicht aufgefallen, dass die Außenstehenden bei ihrem Anblick laut gähnen müssen.
Als wir im Begriff waren, 2008 die Sendung »Nachrichten 1+1« auf die Beine zu stellen, rieten mir einige: »Das ist ein undankbares Programm, mit dem du nur anecken wirst, lass das doch bleiben.« Zugegeben, eine Sendung zu machen, die Hintergrundanalysen bringt, gehörte zwar zu den Reformen und war für den Sender absolut notwendig, aber falls es wegen der Inhalte der Sendung Ärger gab, musste ich meinen Kopf dafür hinhalten.
Nach dem Start der Sendung bewahrheiteten sich mit der Zeit diese Befürchtungen. Als Moderator bekam ich üblicherweise von allen Seiten immer reichlich Unterstützung und Lob, und der Wind blies mir nie kalt ins Gesicht. Doch kaum wurde ich Kommentator, hagelte es Kritik von unzufriedenen Vorgesetzten, aber auch von Abteilungen, die mir vorwarfen, ich übe nicht genügend Druck aus, was absurd war. Selbst Funktionäre, die zuvor stets großes Vertrauen in mich gesetzt hatten, zeigten sich unzufrieden mit mir. Ich versuchte erst gar nicht, mich zu erklären, auch wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte. Die Zeit und mein gutes Gewissen sollten als Antwort ausreichen.
Es gab sowieso keine Alternative. Schließlich hatte ich diesen Weg nicht allein gewählt, er war die logische Konsequenz der Fernsehreform, die eben auch ihre Risiken barg. Es hängt an einem dünnen Faden, ob man zur Avantgarde oder zum Märtyrer wird. Aber soll man deshalb nicht seinen Weg gehen und einen Schritt nach vorn wagen? Wir waren längst unterwegs zu neuen Ufern, und zwar nicht nur ich
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