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Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
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braucht man einen Grund, die Begründung für den Carrefour-Boykott war, dass angeblich einer seiner größten Aktionäre die tibetische Unabhängigkeitsbewegung finanziell unterstützte. Doch das stimmte gar nicht. Wie sich wenige Tage später herausstellte, handelte es sich lediglich um ein Gerücht. Schon war die Sache haltlos geworden, aber wenn alle mitmachen, muss ja etwas dran sein. Die Leute suchten irgendeinen Grund, um ihre Wut abzureagieren, und schon stürzten sich alle mit Eifer ins Gefecht. Doch danach stoben sie wieder auseinander. Der Grund war letztendlich nicht so wichtig. Kann Empörung wirklich auf etwas fußen, was gar nicht der Wahrheit entspricht? Rechtfertigt der patriotische Eifer denn alles, auch wenn er von den falschen Prämissen ausgeht? Dann können wir uns ja jeden beliebigen Grund ausdenken, um damit eine sogenannte »gerechte Bewegung« in Gang zu setzen.
    Solcher jugendliche Eifer verschwindet lange nicht so schnell, wie er auftaucht. Obwohl es während des olympischen Fackellaufs zu Vorfällen wie dem unsinnigen Boykott von Carrefour kam, zog niemand seinen patriotischen Charakter in Zweifel, die Massen hatten die säbelrasselnden »Post-Achtziger«-Gruppen schon ins Herz geschlossen. Auch lange danach tauschten sich immer noch viele junge Leute mit mir über die Gefühlswallungen jener Tage aus. Nachdem die erhitzten Gemüter sich abgekühlt hatten, waren im Grunde alle einig, dass Carrefour für uns eine wichtige Lektion für die gesellschaftliche Entwicklung war.
    Niemand konnte wissen, ob es zu weiteren Protesten vergleichbar mit denen während des Fackellaufs kommen würde. Doch zunächst änderte das schwere Erdbeben in Sichuan vom 12. Mai alles. Es weckte weltweit Hilfsbereitschaft und aktivierte die guten Seiten der Menschen. Die ganze Welt half China, mit der Katastrophe fertigzuwerden, und gerade die »Post-Achtziger« waren es, die die größten Gruppen unter den Katastrophenhelfern stellten. Es sieht so aus, als sei 2008 das Jahr gewesen, in dem die neue Jugend erwachsen wurde. Seitdem kann China in diese Generation zunehmend Vertrauen setzen.
    Urümqi, 5. Juli 2009: Der Beginn einer neuen Ära der Transparenz
    Die Aufstände von Urümqi vom 5. Juli 2009 kamen völlig unerwartet, nichts hatte zuvor darauf hingedeutet. Ich erfuhr am Morgen des 6. Juli davon. Und das Erste, was ich mich fragte, war, ob wir diesmal binnen kurzer Zeit darüber berichten könnten.
    Ich verbrachte den Tag damit zu recherchieren, und je mehr Details ich in Erfahrung brachte, desto unerträglicher fand ich es als Medienmensch, nicht sofort mit der Berichterstattung loszulegen. Immerhin kam die Nachricht noch am selben Tag über den offiziellen Nachrichtenticker. Ein positives Signal.
    Aufgrund des Ärgers, den wir 2008 hatten, und der großen ausländischen Medienpräsenz während der Olympiade, als China permanent unter mikroskopischer Beobachtung stand, ist das Land selbstbewusster geworden. Unerwartete Vorfälle sollten nicht verschwiegen werden, man muss stattdessen sowohl im In- als auch im Ausland schnell und so früh wie möglich darüber berichten. Das war eine so positive wie wichtige Veränderung.
    Im Fall des Weng’an-Vorfalls im Jahr 2008 lag es nahe, gemäß der üblichen Nervosität bei solchen Themen die Nachricht unter Verschluss zu halten und nichts darüber zu berichten. Schließlich waren größere Bevölkerungsgruppen involviert, und es gab Auseinandersetzungen mit der Volkspolizei und gewalttätige Zusammenstöße. Aber man beließ es in diesem Fall bei einer nur vorübergehenden Nachrichtensperre und stieß kurz darauf die Tür zu einer ungehinderten Berichterstattung auf. Im Ergebnis bedeutete das den Beginn einer positiven Interaktion mit den Medien. Im Endeffekt stärkte das ungewohnte Vorgehen das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat. Es wurde schnell deutlich, dass ein auf den ersten Blick für das Staats image negativer Vorfall, wenn nur offen darüber informiert wird, zu einer objektiveren Sicht auf die Dinge führt. Zweifellos hat das die Offenheit und Dynamik in der Beziehung zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Medien gefördert.
    Also waren wir bereits am 6. Juli vor Ort, um in den Abendnachrichten über die Vorfälle zu berichten. Noch bis kurz vor der Sendung hegten wir die Befürchtung, im letzten Moment zurückgepfiffen zu werden. Eine halbe Stunde vor den Nachrichten fand ein Gespräch unter vier Augen statt, in dem Vizeintendant Sun

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