Sind wir nun gluecklich
Yusheng mir nicht ganz unbesorgt erklärte: »Ich habe weder Anweisungen erhalten, von der Sache zu berichten, noch, sie nicht zu bringen. Nach reiflicher Überlegung bin ich der Meinung, wir sollten es versuchen.«
Die Sendung begann um halb zehn. Natürlich hatte es im Laufe des Tages bereits einige kurze Meldungen über den Vorfall in Urümqi gegeben, aber im Vergleich zum Umgang mit ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit war das zweifellos das erste Mal, dass in solcher Ausführlichkeit darüber berichtet wurde. Noch dazu waren nur wenige Korrespondenten vor Ort und viele Fragen noch ungeklärt, die tatsächliche Situation noch nicht wirklich erfasst. Vor allem war dies das erste Mal, dass ein Nachrichtenmoderator des staatlichen Fernsehsenders CCTV in solcher Länge einen Vorfall dieser Art kommentierte und analysierte. Die Herausforderung war enorm und die Entscheidung der Intendanz gewagt.
Andererseits wäre es in Anbetracht der Aufmerksamkeit der Leute für die Medien, angesichts der Reformen, die CCTV umgesetzt hatte, und des offiziell deklarierten Rechts des Volks auf »Information, Partizipation, Meinungsäußerung und Kontrolle« in diesem Fall das größte Risiko gewesen, kein Risiko einzugehen.
Die Moderatorin des Berichts war an diesem Tag Dong Qian, und ich schloss mich als Kommentator an, insgesamt hatten wir eine halbe Stunde Sendezeit. Am nächsten Tag gab uns auch der Intendant sein Plazet zu unserem Vorgehen und informierte uns, dass die Einschaltquote für diese halbe Stunde mehr als das Neunfache der üblichen betragen habe, worin sich die Erwartungshaltung des Publikums und das Interesse an diesem Thema spiegelten.
In den darauffolgenden Tagen berichteten wir täglich mehr oder weniger ausführlich über die Ereignisse. Wir hatten bereits am 6. Juli nach der Sendung unser Team vor Ort mit Korrespondenten wie Zhang Quanling verstärkt. Schon diese Maßnahme zeigte deutlich, dass man nichts unter den Teppich kehren, sondern sich der Situation stellen und sie transparent machen wollte, und das unverzüglich. Gleichzeitig wurden auch die ausländischen Journalisten beinah ungehindert nach Urümqi gelassen, sodass man auf der ganzen Welt flächendeckend informiert war und keine Missverständnisse und Vorverurteilungen programmiert waren.
Aber auch Transparenz und Fakten machten die angeschlagene Stadt Urümqi so schnell nicht wieder gesund.
Mein Vater ist Mongole und meine Mutter Han-Chinesin, in mir mischt sich also das Blut zweier unterschiedlicher Völker. Hinzu kommt, dass ich als Kind in einer Minderheitenregion aufgewachsen bin, daher schmerzte mich das Geschehen vom 5. Juli ganz besonders. Ich erinnere mich an meinen Nachrichtenkommentar:
»Für eine Stadt wie Urümqi sind äußerliche Wunden schnell verheilt, doch die inneren Wunden heilen nur sehr langsam. Für die Brüder und Schwestern unterschiedlicher Völker, die zusammen in dieser Stadt leben, hat sich plötzlich ein Riss aufgetan, eine Mauer steht zwischen ihren Herzen. Um die tiefsitzenden Wunden zu heilen und die Stadt wieder genesen zu lassen, sind gemeinsame Anstrengungen ihrer Millionenbevölkerung und des chinesischen Volkes nötig. Wir hoffen das Beste für euch.«
Als ich wenige Monate später Yang Jing, den Vorsitzenden der Kommission für Angelegenheiten der nationalen Volksgruppen, interviewte, machte er die unvergessliche Aussage: »Die Einigkeit aller Völker Chinas ist wie die Luft zum Atmen. Normalerweise merken wir überhaupt nicht, dass sie existiert. Aber wehe, wenn sie fehlt!« Während des Interviews liefen dem aus der Mongolei stammenden Mann Tränen über die Wangen.
Die Desensibilisierung im Umgang mit heiklen Themen ist ein deutliches Zeichen des Fortschritts im China unserer Zeit. Sie bedeutet weder Gleichgültigkeit noch Desinteresse und auch nicht die Aufgabe von Prinzipien.
Ganz im Gegenteil: Desensibilisierung hilft uns, selbstbewusst an unseren Prinzipien und unseren Interessen festzuhalten. Im strategischen Schachspiel zwischen China und der Welt ist es schwer geworden, Unwissenheit vorzuschützen und auf Zeit zu spielen. Das heißt ja nicht, dass man schwach ist, man ist einfach besser beraten, wenn man sich manchmal zurückhält. Unsere Prinzipien und Interessen hören zu lassen und allmählich ein Wertesystem Chinas im Umgang mit der Welt zu etablieren gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben.
Dabei ist Selbstvertrauen die beste Medizin, um die eigenen Wunden zu kurieren ebenso wie die
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