Sind wir nun gluecklich
Spielen, dann sind wir immer auf der Siegerseite. Warum sollten wir etwas anderes tun?«
Wenige Stunden später teilte man mir mit, es gebe da ein Problem, die Kommentare zu meinem Beitrag gingen in die Tausende, nicht wenige griffen mich heftig an. »Lösch das Ganze so schnell wie möglich!«, wurde mir geraten.
Ich ging ins Internet, um mir selbst ein Bild zu machen. Die meisten beschimpften mich deshalb, weil ich gegen den Boykott von Carrefour argumentiert hatte. Es hieß, ich sei ein Unterstützer der Franzosen und deshalb kein Patriot, ein Vaterlandsverräter! Von dieser Art waren die Einträge. Nur sehr wenige gaben etwas Vernünftiges von sich, es gab auch ein paar, die meiner Meinung waren, ein Häuflein mit schwacher Stimme, dessen Analysen Hand und Fuß hatte. Inmitten dieser umfassenden Tiraden gegen mich nahm die Vernunft wenig Raum ein.
Ich verstehe den Patriotismus, der hinter diesen Hasstiraden steht, nur allzu gut, sie entsprachen schließlich beinah meinem eigenen Spiegelbild von damals. Ich habe entdeckt, dass jede Generation einmal diese Aufwallungen von Patriotismus hat, die an jugendliche Hormonschübe erinnern. Man kennt sie von den Zeremonien des Mündigkeitsalters oder den Zusammengehörigkeitsbeschwörungen am Gedenktag der Gründung unseres Staates.
Wer in den fünfziger Jahren geboren wurde, kennt diesen bitteren Seufzer über den Enthusiasmus der Jugendlichen während der Kulturrevolution. Im Nachhinein hieß es dann: Die Kulturrevolution hat zwar beinah unser Land und diese Generation zerstört, aber schließlich folgte die Jugend anfangs nur mit der ihr eigenen Begeisterungsfähigkeit den Schlachtrufen der Führer. Es hieß: Wir werden dieses Land in ein Paradies verwandeln, und alle rannten hinterher.
Wer in den sechziger Jahren geboren wurde, wurde spätestens nach den heftigen Ereignissen im Frühsommer 1989 still und nachdenklich, und die Zeit der Jugend war vorbei.
Die in den siebziger Jahren Geborenen erlebten 1999 die »versehentliche Bombardierung« der chinesischen Botschaft im ehemaligen Jugoslawien und machten mit echten und virtuellen Steinen im Internet ihrer jugendlichen Empörung Luft.
Und für diejenigen, die in den achtziger Jahren geboren wurden, gaben der gestörte Ablauf des olympischen Fackellaufs, ihre Trauer und das Gefühl, betrogen worden zu sein, den Anstoß für jugendlichen Trotz und ihr Verbundenheitsgefühl mit diesem Land.
Daher kann ich diese jugendlichen Eiferer gut verstehen, ich selbst habe das auch schon hinter mir, und zwar nicht zu knapp.
Dennoch kann ich mich mit der simplen Logik, die hinter diesen Beschimpfungen steht, nicht identifizieren. Ich hatte plötzlich das Gefühl: In Wahrheit ist das eine gute Lektion in Sachen Demokratie. Ich wollte diesen ursprünglich arglos über die Carrefour-Sache geschriebenen Artikel auf keinen Fall löschen; ich wollte mir lieber gut überlegen, wie ich mit diesen aufgebrachten jungen Leuten ins Gespräch kommen konnte. Sie sind der Grundstein des Prozesses der Demokratisierung in Chinas Zukunft. Selbst wenn nur 1 Prozent der Leute, die mich jetzt attackierten, mir zuhören sollten, selbst wenn nur 10 Prozent vielleicht nichts davon hören wollten, aber wenigstens nachdenklich gestimmt würden, dann wäre das den Dialog schon wert. Beschimpft zu werden macht mir nichts aus, als Nachrichtenmoderator habe ich sozusagen das »Große Schimpfdiplom« längst absolviert. Davon abgesehen waren im Lauf der chinesischen Demokratisierung schon zahlreiche Leute dazu verdammt, sich in einem Regen von Spucke langsame Fortschritte zu erkämpfen. Ich selbst eingeschlossen.
Innerhalb weniger Tage baten mich zahlreiche Medien um ein Interview. Schließlich veröffentlichte ich in der Southern Weekly einen Artikel, der eine Art Zusammenfassung meiner Gedanken zu diesem Thema war.
Einer der Grundsätze der Demokratie ist, dass ich auch dann, wenn ich nicht mit deiner Aussage einverstanden bin, dein Recht auf deine eigene Meinung verteidigen werde. Wenn jemand Carrefour boykottieren will, ist das seine eigene Sache, daran gibt es nichts auszusetzen. Aber jemanden attackieren, weil er das nicht tut, ist schlichtweg falsch. In einer demokratischen Gesellschaft sollte jeder das Recht auf Entscheidungsfreiheit haben. Und wenn dann ein paar Tage lang der Eingang von Carrefour mit Lastwagen blockiert wird und die Leute, die dort dennoch einkaufen, mit Schmährufen bedacht werden, geht das einfach zu weit.
Für einen Boykott
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