Sind wir nun gluecklich
Fall, sagen, dass Unaufmerksamkeit auch etwas Gutes haben kann. Wir jedoch konnten uns keine Unaufmerksamkeit erlauben und ließen unsere Kabelverbindungen bis zum Ende der Übertragung der Abschlusspräsentationen von russischem Sicherheitspersonal bewachen.
Sosehr uns auch diese Schikane im Studio einen Schrecken versetzt hatte, hinterher freuten wir uns umso mehr: Der Himmel steht den Rechtschaffenen bei. Wir nahmen diese dramatische Episode als Vorspiel zum großen Auftritt Pekings.
Und ich sagte eine Minute vor Samaranch: »Peking!«
Der Moment der Entscheidung war gekommen. Wir hatten uns wirklich gut vorbereitet. In Monte Carlo waren wir zum Beispiel von dem knappen Ergebnis überrascht worden und waren während des Auf und Ab des Entscheidungsprozesses ständig unruhig. Dieses Mal standen zwar die Vorzeichen für Peking viel besser, aber wir gaben uns weniger optimistisch und selbstbewusst. Und genau diese zurückhaltende, neugierige Erwartungshaltung setzte schließlich einen ungeheuren Enthusiasmus frei.
Es war erst der zweite Wahldurchgang, doch der geöffnete Umschlag, mit dem der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees zum Podium schritt, ließ vermuten, dass das Ergebnis schon feststand. Nach all den Analysen der Präsentationen der Mitbewerber war ich mir nach dem zweiten Wahldurchgang sicher: Es kann nur Peking sein.
Eigentlich sollte ein Moderator in diesem Moment gar nichts sagen, doch ich konnte nicht an mich halten und mutmaßte bereits laut, nachdem sich Samaranch erhoben hatte: Das Ergebnis steht fest, Peking darf hoffen … Schon eine Minute vor der offiziellen Verkündigung aus dem Mund des damaligen IOC-Präsidenten hatte ich bereits »Peking« gesagt.
Sogleich hatte ich die Rüge des Regisseurs im Ohr: »Das kannst du doch nicht sagen, stell dir vor, es stimmt nicht!«
Ich wusste aber in diesem Moment genau, was ich tat, das war kein Ausrutscher. Alles, was ich vordem gesehen und gehört hatte, ließ keinen Zweifel daran zu, dass der Sieger Peking heißen musste.
Aber es war immer noch Samaranch überlassen, es vor aller Welt zu verkünden. Doch diesmal kam wirklich nicht der Name einer anderen Stadt aus seinem Mund, sondern »Peking«.
Kaum war der Name ausgesprochen, da bin ich mir sicher, explodierte in China ein Jubelfeuerwerk. Und sicher entzündete sich in diesem Moment auch der Funke der Leidenschaft, die die Spiele künftig tragen sollte. Augenblicklich, das Wort schien noch nicht verklungen, erhob sich die chinesische Delegation unter lauten Freudenrufen.
In diesem Moment beherrschte uns nichts als große Dankbarkeit. In unserem Moskauer Studio schrien wir drei, Ning Xin, Zhang Bin und ich, drauflos, ohne uns darum zu kümmern, dass wir noch auf Sendung waren, wir hielten die Gläser mit dem zuvor vorbereiteten Champagner in die Kamera, prosteten uns zu und tranken sie in einem Zug aus. Erst im Nachhinein bekamen wir mit, dass diese Kameraeinstellung mit uns von zahlreichen ausländischen Fernsehsendern gebracht wurde, als Symbol der Freude Chinas über den Sieg.
Draußen in der Kabine des Regisseurs brach Ma Guoli, später der erste operative Geschäftsführer unseres Pekinger Olympiastudios, nach Samaranchs Worten in Tränen aus. Mein großer Respekt vor ihm wurde durch diese Tränen noch verstärkt. Sie sagten uns unmissverständlich, dass seine Arbeit für den Sender in den vergangenen zwanzig Jahren immer mit einem Traum verbunden war, einem Traum, der sich hier in Moskau endlich erfüllt hatte.
Sieben Jahre später brachte er sich dann nicht etwa als COO des Pekinger Olympiastudios in die Spiele ein, sondern wurde Manager der Firma, die für die ganze Welt die Fernsehübertragungskanäle für die Olympiade zur Verfügung stellte. Sein Haar war 2008 schon um einiges weißer als in Moskau, aber im Herzen war er jung geblieben.
Ma Guoli war nicht der Einzige, der Tränen vergoss, Freudentränen flossen allenthalben, die Mehrzahl der Leute aber jubelte, klatschte und sprang vor Freude in die Höhe. Unsere Liveübertragung hatte gerade mit diesem Freudentaumel geendet, als zwei Gruppen von Personen unser Studio betraten. Die eine bestand aus Vertretern der Sendeanstalten der Städte, die sich mit Peking um die Austragungsrechte gemessen hatten und die uns zum Erfolg Pekings gratulierten. Diese aufrichtigen Glückwünsche rührten uns sehr; die Enttäuschung über das eigene Abschneiden ließen sie sich nicht anmerken. Meine erste Freude über den Sieg wurde
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