Sine Culpa
erwürgt.«
»Nein. So«, sagte er mit einem weiteren schweren Seufzer, »genug davon.«
Aber Nightingale wollte noch nicht aufgeben.
»Wieso interessiert sich das M.C.S. für einen so alten Mord?«
Das war eine gute Frage und eine, die auch Harper-Brown stellen würde, sobald er hörte, wie alt der Fall war. Aber Fenwick wollte die Kontrolle nicht abgeben. Das M.C.S. war speziell für komplexe und heikle Ermittlungen eingerichtet worden, nicht um alte Fälle wieder auszugraben, aber er wollte erst absolut sicher sein, dass es keinen Zusammenhang mit seinem Chorknaben-Fall gab. Er würde H-B um Spielraum bis Ende der Woche bitten und hoffte, dass er damit Erfolg hatte.
»Also?«
»Die Untersuchung von einigen Sachen, die wir im Grab gefunden haben, ist noch nicht abgeschlossen. Bis dahin will ich keine voreilige Entscheidung treffen.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Etwa eine Woche? Warum interessiert dich das so?«
»Na, weil ich den Fall gern hätte. Das wäre meine erste Chance, die Ermittlungen in einem Mordfall zu leiten, und selbst einer, der so alt ist, wäre eine gute Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln.«
»Meinst du, Quinlan würde ihn dir geben?« Er hatte keineswegs die Absicht, den Fall so ohne weiteres aus der Hand zu geben.
»Wenn ich darum bitte, vielleicht … aber du hast Recht; wahrscheinlich kriegt Blite ihn, erst recht, wenn die Presse dran interessiert ist. Quinlan lässt mich nur in Harlden bleiben, wenn ich, wie er es nennt, publicitymäßig unauffällig bin. Aber wenn ich einen kleinen Vorsprung hätte und wüsste, was kommt, könnte ich ihn vielleicht mit einer Strategie beeindrucken, ehe er Blite den Fall gibt.«
Bei zwei ihrer vorherigen Fälle war Nightingale ungewollt ins Blickfeld der Medien geraten, und Quinlan hatte gedroht, sie zu versetzen. Dass sie noch immer in Harlden war, sagte einiges über ihre Überredungskünste aus. Sie ließ die Schultern hängen, und Fenwick schmunzelte mitfühlend.
»Nun denn – bin gleich wieder da.«
Er verschwand ins Haus und kam wenige Minuten später mit einer Akte zurück, die er ihr reichte.
»Du weißt, das muss absolut unter uns bleiben. Das ist die Akte über den toten Jungen.«
»Natürlich.« Nightingale saß schon kerzengerade da und las. »Malcolm Eagleton, zwölf Jahre alt. Wurde zuletzt am 16. August 1981 im Schwimmbad Crawley gesehen.« Sie blickte auf. »Er hat in Pease Pottage gewohnt, das ist bloß ein paar Meilen von hier.«
»Sieh dir sein Foto an.«
Sie tat es. Er bemerkte, dass sie die Ränder mit den Fingerspitzen streichelte und ihr Gesicht kurz einen weichen Ausdruck annahm, ehe sie es wieder unter Kontrolle bekam.
»Ein hübscher Junge. Erinnert mich an wen«, sie stockte, durchforschte ihr Gedächtnis, »aber vielleicht liegt es auch nur an diesem Sussex-Typ: dunkles Haar, blaue Augen, heller Teint. Wirklich ein hübscher Junge«, wiederholte sie.
» Wie himmlische Besuche , kurz und hell , die Erde ist zu schwach , sie lang zu halten «,murmelte Fenwick halblaut und starrte durch den dunklen Garten zur Kinderschaukel.
Nightingale sah ihn überrascht an, doch er war so in Gedanken versunken, dass er es nicht merkte.
»Gab es zum Zeitpunkt seines Verschwindens irgendwelche Spuren?«, fragte sie, um die Stimmung zu durchbrechen.
»Keine, die irgendwas gebracht hätte. Ein paar Zeugen, die ihn mit einem Mann weggehen sahen, den keiner beschreiben konnte.«
»Und was habt ihr im Grab gefunden?« Er blickte sie erstaunt an. »Du hast gesagt, das Labor würde noch an irgendwas arbeiten.«
Er überlegte, wie viel er ihr sagen konnte. Es gab niemanden, dem er mehr vertraute, aber es fiel ihm schwer, Geheimnisse mit anderen zu teilen.
»Ein paar Kleinigkeiten, aber vielleicht können wir damit was anfangen.«
Mehr wollte er nicht preisgeben, und sie leerten schweigend ihre Gläser, untermalt von sanften Debussy-Klängen, die aus dem CD-Player im Wohnzimmer drangen. Als das Stück zu Ende war, rief er ihr ein Taxi.
Am Montagmorgen ging er als Erstes zu A.C.C. Harper-Brown und bat ihn um mehr Zeit. Das Labor und sein Team hatten rund um die Uhr gearbeitet, um den »Kleinigkeiten« irgendwelche Informationen zu entlocken.
»Also los, Fenwick, Sie haben fünf Minuten, um mich zu überzeugen. Danach habe ich eine weitere Besprechung, und wenn mir nicht gefällt, was ich höre, geht der Fall direkt nach Harlden.«
»Wir haben in dem Grab etwas gefunden.« Er holte Malcolms Akte aus seiner Tasche.
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