Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
Vom Netzwerk:
werden. Mag sein, dass sie erträglicher wird, aber letzten Endes verschwindet sie nicht. Was diese Pilze hier betrifft, so rate ich dir, die Finger davon zu lassen. Bennigsen, Grone und Freud geben sich mit so einem Schmarren ab. Sie empfehlen Kokain und weiß der Teufel noch was für Zeugs, aber ich will mir daran nicht die Finger verbrennen.« Er verzog das Gesicht, und die Macht dieser Geste war so groß, dass Fichtner fürs Erste nichts entgegnete. »Was war das andere, das zweite, das du mir sagen wolltest?«, griff Schnitzler plötzlich wieder den Faden auf.
    »Es geht um meinen Bruder«, antwortete der Sektionsrat.
    »Um Wilhelm? Was hat der alte Knabe denn ausgefressen?«
    Sie ratterten an Geschäften vorbei, deren farbenprächtige Auslagen die Gehsteige verstopften, und kamen an grandiosen Bauten vorüber, die das Bürgertum zur Selbstdarstellung nutzte.
    »Er ist tot«, bemerkte Robert leise. »Ermordet.«
    Schnitzler horchte auf. Er glaubte, sich verhört zu haben, und bat um eine Wiederholung des Gesagten. Doch der Sektionsrat bedeutete ihm, indem er langsam nickte, dass er schon verstanden habe. »Herrje«, entfuhr es dem Arzt in großer Ergriffenheit. »Ich wusste nicht … Da sollen doch dem Herrgott die Erzengel verrecken! Das gibt’s doch nicht.«
    »Niemand wusste es«, unterbrach ihn Fichtner. »Ich habe es auch erst heute Morgen erfahren. Von Warnstedt hat es mir mitgeteilt.«
    »Umgebracht, sagtest du?«
    »Anscheinend. Gestern Nacht. Und deshalb muss ich auf die Beine kommen, Arthur. Ich muss gesund sein, wenn ich meine Arbeit wieder aufnehmen will. In diesem Zustand komme ich nicht weit.«
    Schnitzler sah ihn an. »Du bist ein wenig stürmisch – wie die See, mein Guter. Wann warst du denn vor Ort? Ist die Spurensuche schon beendet? Was ist überhaupt geschehen?«
    »Die Spurensuche?«
    An der Art, wie Fichtner reagierte, merkte der Arzt, dass er das Thema wohl nicht weiter verfolgen darf. Mit ernster Miene tätschelte er seinem Freund aufmunternd die Hand. Der Sektionsrat musste stark verwirrt sein, oder – wie es Schnitzler in den Sinn kam – die Schwindsucht war schon so weit fortgeschritten, dass sie bereits seinen Geist angegriffen hatte. Ja, zweifellos, das musste es sein. Fichtner murmelte etwas, das sein Mitfahrer nicht verstand. Dem Arzt erschien er auf einmal linkisch und schüchtern, als ob ein Zauber auf ihm lag, und er glaubte, es wäre das Beste, erst abzuwarten und sich zu überzeugen, was Fichtner sonst noch zu sagen hatte.
    Durch seine bisherige Einfalt beschämt, ließ Robert eine Bemerkung fallen, die kaum wahrnehmbar war: »Ich vermute, du hast recht, Arthur. Ich bin nicht ich selbst. Ich kutschiere hier mit dir rum, während mein toter Bruder vielleicht gerade in diesem Moment von ein paar unbekannten, ungewaschenen und unbeteiligten Händen eingesargt wird.« Nervös nestelte er an seinem Überrock herum. »Ich muss hier raus, Arthur. Lass bitte anhalten.«
    Widerstrebend beugte sich Schnitzler nach vorn, um dem Kutscher etwas zuzurufen, und in diesem Moment bereute er es, Laryngologe zu sein und nicht Nervenarzt.
    Der Sektionsrat rieb sich erregt die Hände, bis endlich der Fiaker angehalten hatte. »Ich empfehle mich«, meinte er noch, als er ausstieg.
    »Falls du mit mir sprechen willst, weißt du ja, wo du mich findest«, bot ihm Schnitzler an. »Wenn nicht in der Praxis, so doch meistens im Café Central.«
    Fichtner nickte dankbar und verabschiedete sich endgültig. Sich nachdenklich am Bart kratzend, blieb Schnitzler im Fiaker zurück und fuhr davon.
    Als er allein auf dem Straßenpflaster stand, verstand der Sektionsrat endlich, was geschehen war. Mit aller Macht ergriff ihn die Realität und öffnete ihm mit grausamer Vehemenz die Augen. Sein Bruder war tot, Opfer eines Verbrechens, so viel war gewiss. Der Traum, den er gehabt hatte, erschreckte ihn nun, da er sich seiner mittlerweile deutlich und in aller Ausgeprägtheit erinnerte, und die Vorgänge, die ihm durch den Kopf fuhren, schärften seinen Verstand. Die Szene mit dem Skorpion war unleugbar irreal, doch dass Wilhelm in seinem Traumgebilde eine Rolle gespielt hatte, beunruhigte Fichtner ungemein. Wie kommt es, dass der menschliche Geist einem solche Rätsel aufzugeben vermag, die lediglich dazu da sind, einen zu zerrütten und zu irritieren? Fichtner hatte die tiefe Empfindung, dass alles, was er sich eingebildet hatte, unsinnig war, und doch fühlte er zugleich ein leichtes Unbehagen, das nicht

Weitere Kostenlose Bücher