Sinfonie des Todes
nicht umhin zu lächeln. Es war zwar ein billiger Scherz, der sich einem literarisch versierten Menschen ohne Zweifel aufdrängen musste, doch da solche Zeitgenossen rar sind, war der Polizist sofort von Leyser eingenommen.
Kurt Leyser legte die Requisite beiseite. »Eine Leihgabe für die Oper«, erklärte er. »Sie wollen wieder mal den ›Freischütz‹ geben.«
»Mit einer Armbrust? Klingt eher nach ›Wilhelm Tell‹. Bei Weber braucht man doch Pistolen und Gewehre.«
Der Requisiteur zuckte ergeben mit den Achseln. »Ach, das hat unsereiner nicht zu bestimmen; das ist Sache des Publikumsgeschmacks oder die des Intendanten. Schon damals, bei der Premiere, wollte man die zarten Nerven unserer Damenwelt nicht zerrütten. Das Knallen der Jägerbüchsen, das durch Mark und Bein geht, wurde deshalb von der Zensur gestrichen. Stattdessen wurden der holden Weiblichkeit diese präparierten Armbrüste vorgesetzt. Und ich bin jetzt dazu verdonnert, die geräuschlosen Bolzen zu reinigen.«
Warnstedt schmunzelte.
Für einige Sekunden sprach keiner ein Wort. Schließlich war es Leyser, der die Stille brach: »Sie sind aber nicht gekommen, um über kuriose literarische Werkinterpretationen ein Schwätzchen zu halten, oder?«
»Das stimmt. Wie gesagt, ich möchte Sie befragen.«
»Über Fichtner?«
Warnstedt bejahte.
»Nun, ich stelle mich Ihnen zur Verfügung und beantworte all Ihre Fragen, sofern dies in meiner Macht steht.«
Dass Leyser bereits über Wilhelms Ableben informiert war, erleichterte die Sache ungemein. Wenn Warnstedt eines nicht ausstehen konnte, dann war es die leidige Pflicht, immer wieder aufs Neue seine Gesprächspartner über den Tod allfälliger Bekannter oder Verwandter informieren zu müssen.
»Sie wissen also um die Situation?«, bemerkte er.
»Ich war heute früh in der Kaisermühle. Hab dort gefrühstückt. Der Wirt hat mir alles erzählt.«
»Nun, mittlerweile ermitteln wir in einem Mordfall. Es ist wohl unumgänglich, dass ich Ihnen nun ein paar Fragen stellen muss, Herr Leyser. Ich hoffe, Sie verstehen mein Vorgehen.«
»Selbstredend«, kam die prompte Antwort. »Ich befürchte bloß, dass ich Ihnen nicht viel helfen kann. Kurz nachdem Wilhelm unsere Spielrunde verlassen hatte, bin auch ich gegangen.«
Warnstedt horchte auf. »Die Spielrunde?«
»Ja, bei Schlözer. Oh – Sie wussten das nicht.«
Etwas in dieser Richtung hatte der Inspektor bereits vermutet. Dass sich solch unterschiedliche Charaktere, wie es der Wirt, der Ministerialbeamte, der gebildete Requisiteur und der leicht skurrile Wissel waren, einfach so zu Kaffee und Kuchen trafen, entsprach nicht seinen Vorstellungen. Irgendwo musste es Überschneidungen geben, und die Erregungen des Glücksspiels bildeten wohl den Schnittpunkt.
»Habe ich nun den Beistand eines Syndikus nötig? Es liegt doch nichts Illegales in meinem Handeln?«
Cyprian beruhigte ihn. »Keine Angst. Spielschulden sind weder strafrechtlich noch zivilrechtlich einklagbar. Wer wem was schuldet, ist mir egal. Mich interessiert vielmehr, was Sie mir über diesen Abend erzählen können. Ihre beiden honetten Spielpartner schweigen sich nämlich darüber aus. Ist an diesem Tag etwas Erwähnenswertes passiert? Gab es Streit mit Fichtner? Irgendwelche Spannungen? Reibereien?«
Leyser legte die Stirn in Falten.
»Wenn Sie mich so direkt fragen, muss ich erwähnen, dass Otto nicht gut auf Wilhelm zu sprechen war. Aber das war er eigentlich nie. Wilhelm hatte wieder einmal verloren und erneut kein Geld bei sich, um seine Schulden zu bezahlen. Auch in der Wirtschaft ließ er nur noch anschreiben. An sich war das eigentlich nichts Ungewöhnliches mehr. Wilhelm stand nie auf eigenen Füßen, er war schon immer ein Simandl.«
»Ein was, bitte schön?«
»Sie wollen Wiener sein und kennen diesen Begriff nicht?«, wunderte sich Leyser. »Ein Simandl, das ist ein Pantoffelheld. Seine Lina hat ihm stets die Hölle heißgemacht, wenn Sie diesen Ausdruck verzeihen. In unserer Kartenrunde war es deshalb ein schäbiger Witz, Wilhelm als Simandl zu bezeichnen. In Krems gibt es eine Simandl-Bruderschaft, deren Mitglieder einen Tag im Jahr ihren Gattinnen die Herrschaft überlassen. Wilhelm war unser Simandl-Kaiser. Die Lina hatte nämlich tagtäglich das Heft in der Hand.«
Warnstedt dachte nach. Das Herrenhaus der Fichtners war einst schön und prächtig gewesen; der alte Glanz der hohen Türmchen war noch nicht ganz verschwunden. Dennoch zerfiel das Gebäude. Es gab
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