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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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die sich von der Speiseröhre bis zum Bauch ausbreitete. Maria kroch zu ihm aufs Bett, das Glas kunstvoll in der Hand balancierend, und drückte sich eng an ihn. Als er ihren Körper an seinem spürte, trat ihm erneut das Bild der trauernden Lina vor Augen, und unversehens krampfte sich sein Herz zusammen.
    Maria empfand Gustavs plötzliche Verstimmung und streichelte seinen Arm. »Was hast du?«, erkundigte sie sich sanft.
    »Ich war heute auf Wilhelms Beerdigung. Lina sah so schön aus in ihrem Kleid, so geheimnisvoll.« Wissel hielt einen Moment inne. Zur Decke starrend, fuhr er fort: »Sie wirkte stark und doch unglaublich verletzlich.«
    Lachend stützte sich die Dirne auf einen Ellbogen und stupste mit der Fingerspitze an Gustavs Nase. »Vergiss Lina. Denk wenigstens in der nächsten Stunde nicht an sie.« Sie nahm einen kräftigen Schluck Absinth. »Genieß die Zeit bei mir.«
    Unwirsch hatte Wissel bei Marias Berührung den Kopf weggedreht. »Ich kann diese Frau nicht einfach in die Ecke werfen wie eine Puppe, die ein Kind nicht mehr möchte.«
    »Du redest Unsinn«, fuhr ihn die Dirne an. »Komm, lass dich von mir verwöhnen.«
    Zärtlich strich sie ihm über die Brust, doch Gustav schlug ihre Hand beiseite und schnaubte: »Lass mich. Was verstehst du schon von Liebe …« Mit grimmiger Miene setzte er sich auf und leerte sein Glas in einem Zug. Hustend wischte er sich über den Mund. »Du bist doch nur eine Hure. Gefühle sind dir so fremd wie Anstand und Moral.«
    Wissel merkte, dass er seine Vertraute mit diesen Worten tief verletzte, doch es tat ihm gut, die ständig quälende Frustration an ihr auszulassen, um sich selbst ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Das Gefühl des Versagens nagte so stark an ihm, dass er plötzlich Lust dabei empfand, Maria zu demütigen.
    »Denkst du wirklich so über mich?«, wollte die Dirne mit leiser Stimme wissen. Ungläubig durchforstete sie sein Gesicht nach einer Antwort. »Ist das tatsächlich deine Ansicht?« Als Wissel nicht antwortete und dem Boden seines Glases alle Aufmerksamkeit schenkte, ballte Maria die Fäuste zusammen und schnaubte: »Ich verstehe nichts von Liebe, meinst du? Ich? Du hast noch keinen Bruchteil von dem erlitten, was ich durchgemacht habe. Täglich werde ich mit den Nöten der Männer konfrontiert. Ständig höre ich mir an, wie wenig sie die Nähe zu ihren Frauen oder Freundinnen vermissen und doch nicht von ihnen loskommen. Aber was ist mit meinem Herz, meiner Seele? Ich gebe Zärtlichkeit und bekomme Geld dafür. Niemals Zuneigung.« Ihre Stimme zitterte, als sie anfügte: »Niemals Liebe.«
    Wissels Augen hatten sich verdunkelt und flackerten. Der Alkohol war ihm zu Kopf gestiegen und lag wie eine Dunstwolke hinter der Stirn. Verächtlich spuckte er aus. »Hast du sie denn verdient, die Liebe? Du verschenkst deinen Körper an jeden, der ihn will, und du erwartest Achtung dafür?« Er mochte Maria sehr, hörte sich Worte sagen, die er schon beim Aussprechen bereute, doch in ihm war ein Damm gebrochen, und er schaffte es nicht mehr, die jahrelang angestaute Verbitterung zurückzuhalten.
    Es war zu spät.
    Wut verzerrte Marias Gesicht, ihre Haare schienen gefährlich aufzuflammen. »Wie viele Male bist du zu mir gekommen und hast mich gebraucht?«, schrie sie ihm, am ganzen Körper bebend, entgegen. »Wie viele Male hast du dich wegen dieser Lina bei mir ausgeheult, und ich habe geduldig zugehört, dich getröstet und aufgepäppelt, damit du weiter deinen Alltag meistern konntest? Lina! Diese Frau ist deine Liebe nicht wert. Merkst du das nicht? Du vergeudest deine Gefühle an sie.«
    »Lina ist eine wunderbare Frau«, zischte Wissel durch die Zähne. »Edel und anmutig.«
    Maria lachte gehässig auf. »Pah, von wegen edel. Sie hat nur ihr Aussehen im Kopf. Und ihren armen Mann hat sie gehörig zugrunde gerichtet mit ihren Ansprüchen und Forderungen. Das weiß doch jeder, nur du scheinst das nicht zu sehen.« Sie beugte sich ganz nahe zu ihm. »Und noch etwas, Gustav: Sie lacht über dich.«
    Das Glas in Wissels verkrampfter Hand zersplitterte, Scherben fielen aufs Bett. »Du wagst es, so über sie zu sprechen?«, schäumte er, ohne auf das Blut zu achten, das aus seiner Handfläche rann.
    Spöttisch lächelnd setzte die Prostituierte hinzu: »Und sie verachtet dich!«
    In Gustavs Kopf zerbarst ein Licht. Reflexartig hob er die verletzte Hand und ließ sie mit aller Kraft in das so anmaßend wirkende Gesicht vor ihm schnellen, ohne sich

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