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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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ovalen Gemälde daneben brachte eine Mutter ihr Mädchen zu Bett, indem sie es liebevoll zudeckte.
    Idylle im Dreck, dachte sich Wissel. In diesem Haus scheint man sich an Illusionen festzuklammern. So eigentümlich für Wien.
    Er berührte eines der Bildnisse mit den Fingerspitzen und strich an den gemalten Linien entlang. Die Eindrücke der Beerdigung schwangen immer noch in seinem Kopf nach. Gustav sah Lina im schwarzen, gewagten Samtkleid am Grab stehen, mit ihren zarten, durchsichtig scheinenden Fingern ein dunkles Tüchlein umklammernd. Nach der Zeremonie hatte er sich eigentlich von ihr verabschieden, ihr tröstende Worte ins Ohr flüstern und sie aufmuntern wollen, doch zu seinem Leidwesen war sie unverzüglich in Schraders Wagen gestiegen und fortgefahren.
    Er riss sich von den Bildern los und ging weiter. Als er an der Zimmertür der Prostituierten angekommen war, klopfte er leise dagegen.
    Maria öffnete ihm nach wenigen Augenblicken, nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinein.
    »Darf ich dir ein Glas der lieblichen grünen Fee offerieren?«, bot sie ihm kokett lächelnd an. Wissel zuckte unschlüssig mit den Achseln.
    »Na komm, Gustl. Ein Schluck Alkohol wird dir bestimmt guttun. Die siehst blass aus um die Nase.«
    Sie näherte sich ihrem treuen Besucher mit schlängelnden Bewegungen und strich ihm sachte durch die Haare, wobei ihre Lippen flüchtig seinen Mund berührten. Gustav machte die Augen zu und genoss ihre Zärtlichkeit, ihren blumigen und zugleich herben Duft, ihren Atem, der seine Wange angenehm kribbeln ließ, und die Wärme, welche ihn schützend umschlang.
    »Du hast bestimmt recht«, meinte er schließlich, als sie von ihm abgelassen hatte und einen Glasbehälter vom obersten Brett des Regals zu nehmen versuchte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte sich, so weit es ging, und hangelte endlich mit schnalzender Zunge das begehrte Objekt vom Gestell. Es handelte sich um eine Karaffe, die auf der bauchigen Oberfläche mit einem Metallhahn versehen war, aus dem man eisig kaltes Wasser ablaufen lassen konnte.
    Gustav ließ sich wohlig seufzend aufs Bett fallen. »Ist Klara nicht hier?«, erkundigte er sich nach der Zimmergenossin der Dirne.
    Maria drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Sie kauft gerade ein und trifft sich danach noch mit einem Freund in der Kaisermühle.« Sie stellte zwei Gläser neben das Bett auf den Holzboden.
    »Ich gehe schnell in den Korridor und hole Wasser«, gab sie Gustav zu verstehen, während sie sich niederbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn hauchte. Flüsternd ermahnte sie ihn: »Lauf mir nicht davon. Ich bin bald zurück.« Maria griff nach dem Behälter und verließ rasch das Zimmer.
    Wissel versank wieder in Gedanken, bis ihn nach einer Weile das Zuschlagen der Tür unsanft aufschrecken ließ.
    »Ich bin wieder da«, lachte ihn das Mädchen, das er schon so gut und so lange kannte, an. Er fühlte sich bei ihr geborgen und stand nicht mehr unter dem ständigen Zwang, sich zu verstellen und anzupassen. Alle Nervosität, die er bei anderen Menschen unweigerlich verspürte, fiel in ihrer Nähe ab, und in den Momenten, die er bei der Prostituierten verbrachte, atmete er frei und ruhig. Und doch genügte sie ihm nicht, denn nur Lina, das wusste er, könnte seine Begierde tatsächlich befriedigen und seine schmerzende Sehnsucht stillen.
    Maria füllte die Gläser aus der hohen schlanken Flasche, die sie aus dem Schränkchen neben dem verklebten Fenster geholt hatte, mit grünlich schimmerndem Absinth, der einen anreizenden Kontrast zu ihren roten Haaren bildete. Mit bedächtiger Anmut stellte sie eines der Trinkgefäße unter den Hahn der Karaffe und legte anschließend ein Stück Würfelzucker auf die durchlöcherte Fläche eines kleinen, fein geschwungenen Löffels.
    Lächelnd schaute Gustav der Dirne zu, während seine Finger den Stoff umspielten, der über eine der Lampen gebreitet worden war, um das Licht abzudämpfen. Die Wärme des Zimmers und das geheimnisvolle Dämmerlicht, das ihn umgab, lullten ihn angenehm ein, und er beobachtete Maria dabei, wie sie den Löffel zwischen Glas und Hahn hielt und an dem kleinen Hebel drehte. Wasser lief über die süßen Kristalle in den Absinth, der im selben Augenblick opalisierte, und als sich genug davon mit dem kostbaren Getränk vermischt hatte, reichte sie ihm das Gefäß.
    Genüsslich nahm Wissel einen Schluck und konzentrierte sich auf die leichte Bitterkeit in seinem Mund und die Hitze,

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