Sinfonie des Todes
anzubieten.« Werlhoff berichtete von dem Gespräch, das er mit Gustav geführt hatte, und Cyprian sah ihn scharf an.
»Du warst ebenfalls im Haus? Ohne richterliche Befugnis?«
»Na ja, was sollte ich auch anderes tun?«, verteidigte sich Oskar. »Mein Gott, Cyprian, wir haben November. Es war verflucht kalt. Irgendwie musste ich mich doch aufwärmen und mich vor der Zugluft schützen. Außerdem hatte ich dort unbehelligte Sicht auf Frau Fichtners Villa.«
Der Inspektor nickte verständnisvoll. Zu viele Male war auch er in einer ähnlichen Situation gewesen, und ebenso oft hatte er ebenso unbefugt gehandelt.
»Gut, gut«, meinte er einlenkend. »Ich werde Frau Fichtner anrufen. Danach sehen wir weiter. In der Zwischenzeit könnt ihr euch ja einen Kaffee genehmigen. Lasst mich jetzt allein.«
Sowie sie gegangen waren, griff er nach dem Telefonhörer und ließ sich verbinden. Sein Herz pochte leicht, als er nach kurzer Wartezeit ihre Stimme vernahm. Vielleicht lag es daran, dass Lina in letzter Zeit die einzige Frau von Stil und Extravaganz war, mit der er Kontakt gehabt hatte; vielleicht sehnte er sich auch nur danach, von Angesicht zu Angesicht mit einem weiblichen Wesen zu reden, zumal Katharina nun in München war.
»Frau Fichtner?«, meldete er sich. »Hier ist von Warnstedt.« Mit kurzen Worten erklärte er ihr die Situation, wobei er wohlweislich verschwieg, dass eigentlich sie diejenige war, die beschattet worden war. Schließlich fragte er: »Möchten Sie, dass wir jemanden vorbeischicken, der Ihr Grundstück im Auge behält und eingreifen kann, falls sich jemand nähert, der nichts Gutes im Schilde führt? Es ist mir ein Anliegen, dass Sie sich sicher fühlen, Frau Fichtner, und keine Angst in Ihrem Haus haben müssen.«
Lina lachte heiser auf. Es klang mechanisch durch den Hörer. »Nein, ich brauche keine Unterstützung. Vielen Dank. Ich komme gut allein zurecht. Notfalls hätte ich einen Revolver, um mich zu wehren.«
»Aber so eine Waffe ist doch nichts für eine Dame wie Sie. Könnten Sie denn überhaupt damit umgehen? Der Rückstoß kann ziemlich unerwartet kommen. Außerdem sehe ich es nicht gern, wenn sich die Bürger bewaffnen.«
»Ihre Besorgnis rührt mich, Inspektor. Aber ich fühle mich nicht bedroht.«
Mittlerweile klang sie gereizt.
Cyprian seufzte und gab schließlich nach. »Wie Sie wünschen, Frau Fichtner. Ich kann Ihnen den Polizeischutz nicht aufzwingen.«
Sie verabschiedeten sich und hängten auf. Nachdenklich blieb Warnstedt sitzen. Etwas an Linas Aussage hatte ihn irritiert. Er wusste nur noch nicht, was es war.
23. Kapitel
Nach einigen Minuten waren die Polizisten gegangen, und als er wieder allein war, besann sich Robert. So vieles war noch unklar, so vieles lag im Dunkeln. Er holte seine Brieftasche hervor, in deren einem Fach ein altes Foto seines Bruders lag. Es war ein leicht unscharfes Abbild von schlechter Qualität, vergilbt und mit bereits eingerissenen Ecken. Als er einen Blick auf das starre Gesicht warf, geisterte irgendetwas durch seinen Kopf, wie ein Irrlicht, das nicht zu fassen war. Was war es, was Warnstedt vor dem Pathologischen Institut erwähnt hatte? Ein Kassenbuch?
Er dachte angestrengt nach. Die Gendarmerie trat auf der Stelle, so viel war klar. Anscheinend konzentrierten die Beamten ihre Ermittlungen auf den engsten Bekanntenkreis seines Bruders, letzten Endes sogar auf ihn selbst. Er war sich bewusst, dass er an Warnstedts Stelle wohl oder übel zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen würde. Doch warum stockten die Nachforschungen? Wo lag der Fehler? Der Sektionsrat nahm einen weiteren Schluck Milch und überlegte sich ein Planspiel, das auf den ersten Blick absurd anmutete, doch auf den zweiten vielleicht gar nicht so abwegig war: Was, wenn Wilhelm gar nicht das Opfer, sondern vielmehr ein Täter war? – Ein Täter, den einfach das unvermeidliche Schicksal erreicht hatte …
Nahm man Wilhelms Spielsucht zum Ausgangspunkt, so war der Schritt zu den Verlockungen während der Arbeit schnell einmal getan. Es war so leicht, hier ein bisschen Geld zu hinterziehen und dort ein wenig zu korrumpieren. Dieser Stephan Schrader hatte ihm das sogar unbewusst zwischen den Zeilen angedeutet. Doch was brauchte es alles, um die Buchhaltung zu fälschen? In erster Linie wohl ein zweites Kassenbuch, ein weiteres Exemplar, in das man die gefälschten Bilanzen einträgt.
Der Sektionsrat suchte das Sterbebildchen seines Bruders hervor, warf einen Blick auf
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