Single in the City - Frl. Garbers rennt durch die Stadt
kontaktgestörten Autor Bruno vorstellte. »Neulich auf einer Party habe ich Johannes geküsst«, sagte Bruno. »Echt. Ich habe ihn richtig geküsst. Mit Zunge.« Frau Zeh flüsterte mir zu: »Zweiter Blick.« Später am Abend verschwand Bruno mit einer 23-jährigen Blonden.
Wir befanden uns mitten in der Zweite-Blick-Diskussion, als ich Frau Zeh im Büro besuchte. Ich betrachtete gerade die kurzen Stoppeln auf meinen Beinen – in Berlin muss man sich ja immer Wochen vorher anmelden, wenn man sich mal die Unterschenkel wachsen lassen möchte –, da kam ein schöner Mann herein. Ein Erster-Blick-Mann, Schauspieler, Flirtroboter. Und kurz darauf – so habe ich mich zuletzt Weihnachten 1982 gefühlt – kam noch einer. Mit Augen so blau wie Gletschereis-Bonbons. Ich wagte nicht hinzusehen, weil ich Angst hatte, es könnten plötzlich tödliche Laserstrahlen aus ihnen herausschießen. Und was machte Frau Zeh? Telefonierte mit dem kontaktgestörten Bruno.
Am Donnerstag waren wir alle auf einer Sommerparty an derSpree. Es war enttäuschend. Die Erster-Blick-Männer standen auf der Terrasse herum und zeigten den Frauen den Mond, der über dem Badeschiff gegenüber aufging. Er war so groß und schwer an diesem Abend, dass er Mühe hatte aufzusteigen. Die Männer holten den Frauen Bier und Prosecco und sahen so sommerlich und gebräunt und erfolgreich aus, dass es ein Graus war. Weit und breit kein Zweiter-Blick-Mann, den man hätte erlösen können. Stattdessen lauter Gottesgeschenke, die Sätze in ihrem Repertoire haben wie: »Du müsstest dir mal wieder die Beine rasieren.« Die Senatorin hat sich dann einen italienischen Musiker mit nach Hause genommen. Der hatte immerhin wenig Haare und eine Brille.
Aysche ist übrigens gerade auf einen Zweiter-Blick-Mann hereingefallen: Ihr Yogalehrer mit der Zahnspange. »Diesmal lasse ich mich erobern«, hatte Aysche angekündigt. Das letzte Mal hatte sie einem Typen im Restaurant ihren Slip mit der Bemerkung »Komm, lass uns gehen« unterm Tisch in die Hand gedrückt. Als jedenfalls der Yogalehrer sich ein paar Tage nicht bei ihr meldete, schrieb sie ihm: »Ich brenne und brenne, aber du bist so schwer anzuzünden.« Mit seiner Antwort, man könne ja mal bei Gelegenheit was Trinken gehen, brach er fast ihr kleines anatolisches Herz.
Was nützt ein Mann auf den zweiten Blick, wenn er nicht weiß, dass er einer ist?
Unsere kleine Farm
Heute geht es um die Sehnsucht der Städter nach ein bisschen heiler Dorfwelt. Man kennt das. Kaum ist das erste Kind da und die sexuelle Aktivität bei null angekommen, macht sich das Urviech in uns auf zur Wanderung an den gedanklichen Stadtrand. Gedanklich sage ich, weil die meisten es leider nicht weiter als bis zum nächsten Bioladen schaffen.
In Prenzlauer Berg hat die Zurück-zur-Natur-Bewegung inzwischen bizarre Züge angenommen. Ich rede nicht von frisch gepressten Sanddornshakes für den kleinen Aeneas und seine Schwester Iphigenie. Oder von der Bio-Zuckerwatte (ja, es gibt tatsächlichBio-Zuckerwatte), die auf den diversen Biomärkten der Umgebung neben dem Schrumpelgemüse mit den Wurmlöchern angeboten wird. Ich rede vom Tier.
Das Tier ist ein Hahn und lebt im Hinterhof. Das mit dem Hinterhof ist besonders wichtig, da die Bauweise Berliner Höfe die Idee antiker Amphitheater bis in die heutige Zeit transportiert, sich auf den oberen Rängen, sprich meinem Schlafzimmer, also der gleiche Hörgenuss bietet wie unten im Hühnergehege neben den Mülltonnen.
Da ich jetzt viel Zeit habe, weil ich – Kikeriki – neuerdings schon bei Sonnenaufgang aufstehe, bin ich innerhalb kürzester Zeit zur Hühner-Fachfrau geworden. Oder wie wir Kenner sagen: Ich beschäftige mich intensiv mit Gallus gallus domesticus. Ich konnte noch nicht genau feststellen, um welche Rasse es sich handelt, aber ich tippe auf den Bergischen Kräher oder das Deutsche Reichshuhn. Vermutlich gab es die bei Manufactum im Angebot.
Bei meinen Studien stieß ich außerdem auf folgenden Satz: »Der laute Kikeriki‹-Schrei des Hahnes wird von manchen Menschen als störend oder nervend empfunden (Anm. d. Autors: Aber nein, woher denn). Meist kräht der Hahn morgens bei beginnendem Sonnenaufgang, gegen Mittag und gegen Abend. Aber auch zu jeder anderen Tageszeit kann er krähen.« Das ist absolut richtig. Vor allem der letzte Satz.
Wo ist eigentlich die Vogelgrippe, wenn man sie mal braucht? Und was außer einer Lebenskrise könnte Menschen dazu bringen, sich mitten in
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