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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Festivals wurden
auf den Flügeln winziger, insektenähnlicher Roboter
befördert, mit denen es die Biosphäre durchsetzt hatte;
für jedes einzelne Telefon, das aus dem Orbit geregnet war,
hatte das Festival eine ganze Million solcher Dinger ausgeschickt.)
Stattdessen mussten die Kritiker sich mit ihren eigenen Mitteln
begnügen – mit einem schwerfälligen Netz von
Spähern in niedriger Umlaufbahn, beflügelten
Überwachungsdrohnen und unzuverlässigen Wanzen, die auf den
Fenstersimsen und Schornsteinen wichtiger Gebäude angebracht
waren.
    Mit der für sie typischen Mischung aus Befremdung und
morbidem Zynismus sahen die Kritiker zu, wie die Soldaten des Ersten
und Vierten Regiments ihre Offiziere erschossen und massenweise
desertierten. Sie liefen zur schwarzen Fahne der von Burija
Rubenstein angeführten, jetzt offen arbeitenden
Revolutionären Front Traditioneller Extropianer über.
(Viele Soldaten verbrannten ihre Uniformen und warfen ihre Gewehre
weg; andere steckten sich neue Abzeichen an und hängten sich
seltsame silberne Waffen um, die am laufenden Band von der
Replikationsfabrik des Ausschusses produziert wurden.)
    Die Kritiker beobachteten auch, wie habgierige Bauern vom Festival
Schweine oder Ziegen verlangten, in einem Fall sogar eine Gans, die
goldene Eier legte. Dagegen bat deren Weibervolk leise um
medizinische Heilmittel, Besteck aus rostfreiem Stahl und Stoffe. Aus
dem Schloss waren Schüsse zu hören, als die ausgehungerten
Bediensteten die Tiersammlung des Herzogs abschlachteten. Ein Regen
von Goldrubeln, den irgendwelche Wirtschaftssaboteure bestellt
hatten, ergoss sich weit über die Straßen von Nowyj
Petrograd und wurde ebenso weitläufig ignoriert. Das zeigte, in
welchem Ausmaß der durch die Ankunft des Festivals
ausgelöste wirtschaftliche Zusammenbruch bereits fortgeschritten
war.
    »Die sind wirklich armselig«, bemerkte Erste
Beobachterin und nahm einen somatischen Schirm, der die Szene da
unten abbildete, mit den Stoßzähnen in die Zange. Einige
der wenigen noch verbliebenen loyalen Grenadiere waren gerade dabei,
einen verängstigten Flickschuster zu den Toren des Schlosses zu
zerren, gefolgt von seiner brüllenden, um Gnade flehenden
Familie. »Unbeherrschte Instinkte, unfähig, die
Realität in sich aufzunehmen, ohne jede Perspektive.«
    »Wenn du Wurzeln kauen willst, musst du tief graben.«
Fünfter Wachmann kaute laut und kummervoll und bewies damit das
für ihn typische Einsichtsvermögen (Intelligenz war bei
diesen Tunnel grabenden Kriegern keine Eigenschaft, die sonderlich
gefragt war). »Schmeckt nach Blut und Boden.«
    »Für einen Krieger schmeckt alles nach Boden«,
schnaubte Erste Beobachterin. »Futter du nur deine Knollen,
Bruder, und lass deine Schwestern die Dinge erörtern, die
über deinen Horizont gehen.«
    Sie wälzte sich auf die Seite und schmiegte sich an Siebente
Schwester der Kriegslisten, die sanft an ihrer Flanke zu knabbern
anfing. »Mein Geschwisterchen, du aus meinem Wurf, du
Ebenbürtige: Breitet sich Ungewissheit aus?«
    »Für diese Leute ist eine Zeit der sich schnell
vervielfachenden Veränderungen angebrochen.« Siebente
Schwester neigte sehr dazu, solche seltsamen Sinnsprüche von
sich zu geben, vielleicht in der naiven Hoffnung, sie werde dadurch
den Ruf einer Visionärin erlangen (und letztendlich auch
Unterstützung, wenn sie sich für den Posten der
Königin bewarb). »Mag ja sein, dass sie desorganisiert
sind, nur an der Oberfläche kratzen und nach Strohhalmen
greifen, aber ihr Kampf hat eine gewisse Größe, ein
Maß von Aufrichtigkeit, wie es Primitive nur selten
erreichen.«
    »Primitiv sind sie tatsächlich. Ihr interner Diskurs
leidet unter einem vollständigen Mangel an
Intertextualität. Ich winde mich schon vor Verblüffung,
dass das Festival seine Aufmerksamkeit auf sie
verschwendet.«
    »Wohl kaum. Sie bilden die Antithese zum Festival,
spürst du das nicht in deinen Schnurrhaaren?« Siebente
Schwester zwinkerte Erster Beobachterin mit roten Augen zu und langte
nach der Fernbedienung des somatischen Schirms. »Hier sehen wir
eine Nest-Drohne.« Die Kamera schwenkte in einen geschlossenen
Raum und folgte dem gewaltsam entführten Flickschuster zu den
Mauern des Schlosses. »Die phänotypische Verteilung
führt zu ausgedehnter Spezialisierung, wie immer, mit dem
üblichen Grad freien Willens, den man bei menschlichen
Zivilisationen findet. Aber diese Gesellschaft ist so strukturiert,
dass sie eine Überflutung durch Informationen

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