Sinnliche Maskerade
noch sagen? Und nach ihrer Rückkehr aus London soll sie in der Bibliothek weitermachen.«
»Nach ihrer Rückkehr aus London«, schnaubte Maude. »Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass sie sich in London auch tatsächlich nach Kräften um Ihre Geschäfte kümmert? Niemand dort kann sie überwachen. Sie könnte sich nach Belieben auf Ihre Kosten amüsieren. Ich hätte sie niemals allein fahren lassen.«
Sir Stephen musterte sie erstaunt.
»Wollen Sie wirklich andeuten, Ma’am, dass Mistress Hathaway sich in London amüsiert? Mistress Hathaway!« Er lachte. »Dieses schüchterne graue Mäuschen. Ich habe meine Zweifel, dass sie es überhaupt wagt, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Außerdem dürfte sie für Zerstreuungen in der Stadt kaum passend gekleidet sein.«
Obwohl Lady Maude nicht die Absicht hatte, ihrem Ehemann den Sieg zu überlassen, musste sie anerkennen, dass er wohl recht hatte.
»Nun, mir fehlt die Zeit für solche Plaudereien, Sir Stephen.« Sie fegte an ihm vorbei in die Halle und weiter in den Salon, dessen Tür sie krachend ins Schloss warf.
Sir Stephen schüttelte den Kopf. Er hatte angenommen, dass Lady Maude über ihren gesellschaftlichen Aufstieg erfreut wäre, aber mittlerweile schien es, als sei sie noch schwieriger zufriedenzustellen als zuvor. Sie fand es mühselig, sich unter den ländlichen Familien in Dorsetshire zu etablieren, oder litt doch zumindest unter dem Gefühl, nicht als gleichrangig akzeptiert zu werden. Das Leben, das sie geführt hatte, bis ihr Ehemann so unerwartet in den Stand eines Barons erhoben worden war, war das der Ehefrau eines erfolgreichen Händlers in Bristol gewesen, der zu den bekanntesten in der lebhaften Verschiffungsindustrie der Stadt zählte. In ihren Kreisen war sie die unangefochtene Wortführerin gewesen und hatte Hof gehalten; das Leben auf dem Land hingegen gehorchte ganz anderen Regeln, und hier galten auch ganz andere soziale Hierarchien. Die meiste Zeit hatte sie das Gefühl, dass auf sie herabgeblickt wurde. Stephen fiel nicht ein, wie er ihrer Situation Abhilfe schaffen konnte, sofern Lady Maude selbst nichts unternahm, um sich besser in die Gesellschaft einzufügen. Sie schien zu glauben, dass Bedeutung und Überlegenheit ihr schon zuerkannt würden, wenn sie sich nur bedeutend und überlegen benahm. In dieser durch und durch traditionellen Gesellschaft jedoch erweckte sie nur den Anschein eines Parvenüs.
Er war jedoch sehr damit zufrieden, liebenswürdig und gastfreundlich zu sein, seine Nachbarn zur Jagd und zum Angeln einzuladen, und hatte umgekehrt die Gewissheit, seinerseits geschätzt zu werden. Aber das Leben mit einer Lady Maude, die enttäuscht und unglücklich war, war eine höchst unangenehme Angelegenheit.
Alexandra gefiel der Richmond Park von dem Moment an, als sie durch das Tor ritten. Die grasbewachsenen Reitwege mitten unter den Alleebäumen waren fast so erfreulich wie auf dem Lande. Hin und wieder begegneten sie kleineren Gruppen anderer Reiter; aber die meiste Zeit ritten sie in friedlicher Einsamkeit, abgesehen davon, dass sie hier und dort einen äsenden Hirsch oder einen Fasan aus dem Unterholz aufscheuchten.
»Was für ein bestechender Gedanke, dass diese Wildnis so nahe an London liegt«, bemerkte sie und beobachtete ein Rehkitz, das mit der Ricke zwischen den Bäumen verschwand.
»Als Wildnis kann man es kaum bezeichnen«, widersprach Perry, »ein ganzes Heer von Wildhütern und Aufsehern ist damit beschäftigt, den üppigen Bestand für die Jagd zu erhalten und Bäume nachzupflanzen, sofern notwendig. Vor der norman-nischen Eroberung ist Richmond die Spielwiese des Königshofs gewesen.«
»Danke, dass du mir meine Illusionen raubst«, sagte Alex spöttisch, »dürfen wir galoppieren?«
»Ja, warum nicht. Wir sind hier nicht im Hyde Park, wo man die Stirn runzelt, wenn man sich solche Freiheiten erlaubt.«
Alex trieb ihre Stute mit den Fersen an.
»Komm schon, Griselda, lass mal sehen, was in dir steckt.« Mit einer Alex im Sattel, die sich tief hinunterbeugte, ging das Pferd in einen leichten Galopp. Peregrine schaute ihr ein paar Sekunden lang zu und lächelte, als er die unverstellte Freude bemerkte, die sowohl Pferd als auch Reiter ausstrahlten. Dann gab er Sam die Zügel frei. Das Pferd hatte ohnehin schon gezerrt, weil es Griselda folgen wollte, sprang vorwärts und verkürzte den Abstand zwischen ihnen.
Alexandra hörte die stampfenden Hufe hinter sich und wisperte Griselda ermutigende Worte
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