Sinnliche Maskerade
verschwinden lassen. Sie knöpfte den Rock bis zur Weste, schüttelte die Falten zurecht und schlüpfte in die Jacke, die ihr nicht so eng saß, wie es bei ihrer Mutter der Fall gewesen wäre. Aber immer noch schmeichelhaft, fand sie und betrachtete sich in dem fleckigen Spiegel. Das Haar knotete sie sich im Nacken und probierte den Hut auf.
Es war erschreckend. Beinahe konnte sie sich vorstellen, dass ihre Mutter sie aus dem Spiegel anblickte ... was für ein merk-würdiges Gefühl. Natürlich war ihr bewusst, dass Sylvia und sie ihrer Mutter ähnlich sahen. In den vergangenen Jahren hatten die Schwestern allerdings nicht mehr viel auf die Ähnlichkeit gegeben. Alex fragte sich, was Sylvia wohl sagen würde, wenn sie sie jetzt sehen könnte? Wenn sie sehen könnte, wie ihre Schwester die Treppe hinunterschritt, um unten auf Peregrine zu warten.
Wie immer traf er pünktlich ein. Alex öffnete die Tür, bevor Billings die Gelegenheit hatte, aus der Küche aufzutauchen.
Peregrines Brauen flogen beinahe hoch bis zum Haaransatz, während er den Blick über sie schweifen ließ.
»Woher hast du das? Das ist wirklich bestechend.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Auf dem Dachboden gefunden. Ich habe keine Ahnung, wem es gehört, aber da sich außer mir und den Dienstboten niemand im Hause aufhält, dachte ich, dass es auch keine Rolle spielt, wenn ich es mir ausleihe.«
»Da hast du bestimmt recht«, bestätigte er, »mir jedenfalls gefällt es. Ganz bestimmt. Bist du fertig? Sollen wir los?« Er hielt ihr die Tür auf, und sie trat auf die Straße hinaus.
»Oh, was für eine hübsche Stute«, rief sie und eilte die Stufen hinunter zum Geländer, an dem das Tier zusammen mit Sam angebunden war. »Sieht viel zu elegant aus für ein Mietpferd.« Alex streichelte der Stute den seidigen Nacken.
»Das ist sie auch nicht. Ich habe sie ausgeliehen«, erklärte er und band die Zügel los, »sie heißt Griselda.«
»Und wem gehört sie?« Sie beugte das Knie an, sodass er sie mit Schwung in den Sattel befördern konnte.
»Lady Blackwater, meiner Schwägerin.«
»Hat sie nichts dagegen, ihr Pferd an eine Fremde zu verlei-hen?« Alex setzte sich im Damensattel zurecht und tätschelte Griselda beruhigend den Hals.
»Ich habe Clarissa versichert, dass ich dich schon mal reiten gesehen habe.« Er schwang sich auf Sam.
»Was hast du ihr sonst noch über mich erzählt?«, hakte Alex unbehaglich nach.
»Nichts«, gab er einigermaßen wahrheitsgemäß zurück, »warum fragst du? Meine Familie ist bekannt dafür, ganz und gar nicht neugierig zu sein. Wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten anderer Leute, es sei denn, wir werden darum gebeten.«
»Wie beruhigend«, murmelte Alex, obwohl die Unbehaglichkeit nicht mehr von ihr wich.
Kapitel 14
Lady Maude Douglas betrat das Eckzimmer der Bibliothekarin, schloss die Tür hinter sich und schob den Riegel vor. Sie hatte keine Lust, sich von ihrem Ehemann stören zu lassen, denn der war so entzückt von Mistress Hathaway, dass er bestimmt Skrupel gehabt hätte, das Zimmer während ihrer Abwesenheit zu durchsuchen. Lady Maude hingegen nicht. In ihren Augen war die Frau nichts als eine Bedienstete, und alles, was sie tat, sollte ihrem Dienstherrn zur Prüfung vorgelegt werden.
Das Zimmer war sauber und ordentlich. Nichts lag herum. Lady Maude sah den Bücherstapel auf dem Nachttisch durch. Aber die Bücher sagten ihr nichts; einige waren außerdem in Latein geschrieben. Sie legte sie zurück und schlug die Decke auf dem Bett auf. Es gab Leute, die ihre Geheimnisse manchmal unter Kissen und Matratzen versteckten, hier allerdings nicht.
Lady Maude öffnete den Schrank und ging die Sachen durch, die drinnen lagen. Nichts, womit sie nicht gerechnet hatte. Das hieß, nur noch mehr dieser abscheulichen Kleider und jungferlichen Tücher, die die Bibliothekarin zu tragen pflegte. In den Schubladen der Kommode befanden sich nichts anderes als dicke Strümpfe, hässliche Hemden und oft ausgebesserte Unterröcke.
Systematisch durchsuchte Lady Maude die Schubladen, erforschte jeden Winkel des Schrankes und der Wäschetruhe. Sie hatte keine Ahnung, was sie eigentlich zu finden hoffte, war aber überzeugt, dass das, was es zu finden gab, ihr etwas über die Frau enthüllen würde, die dieses Zimmer bewohnte. Niemand konnte so wenig Persönlichkeit besitzen oder derart nicht existent sein wie Mistress Alexandra Hathaway. Die Frau war praktisch ein Phantom, und Maude misstraute ihr
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