Sinnliche Traeume auf Kyrene
verwandelt hatte.
Sie hatte gerade den Sonnenuntergang vollendet, den sie an ihrem letzten Abend auf Kyrene begonnen hatte, und lehnte die Leinwand, zusammen mit einigen anderen Landschaftsbildern - darunter die römischen Ruinen, die malerische kleine Stadt am Hafen und die Insel selbst mit ihren zerklüfteten Hängen und goldenen Tälern - zum Trocknen an die Kabinenwand.
Es war das Bild des Sonnenuntergangs, das Thornes Blick auf sich zog. Wie magisch angezogen ging er darauf zu und betrachtete es.
Es war ihr gelungen, die dramatischen Farben von Wolken und Meer, das Rot und Gold des Sonnenuntergangs auf die Leinwand zu bannen. Trotzdem wartete sie mit angehaltenem Atem auf Thornes Meinung.
Eine ganze Weile schwieg er. „Ich gestehe, dass ich nur das Auge eines Laien besitze. Aber mir scheint, das hier ist brillant. Es erinnert mich an eine Landschaft von Turner, die ich letztes Jahr in einer Ausstellung der Royal Academy gesehen habe. Aber dieses hier ist nicht so turbulent.“
„Danke“, murmelte sie. „Das ist wirklich ein großes Lob.“
„Ich denke mal, Sie haben sich bewusst für diesen sanfteren Ausdruck entschieden.“
„Ja. Mein bevorzugter Landschaftsmaler ist John Constable. Seine Bilder besitzen so eine warme Heiterkeit. Sie lassen die
Seele zur Ruhe kommen. Ich habe mich bemüht, seine Technik zu erlernen.“
Nur zögernd löste Thorne den Blick von dem Bild und betrachtete die anderen drei Landschaften.
Als er aufblickte und Diana ansah, entdeckte sie in seinen Augen den Ausdruck ehrlicher Bewunderung. Und Respekt. „Sie scheinen zum Malen geboren zu sein.“
Diana fühlte, dass sie rot wurde. Sie wusste, dass es stimmte. So lange sie sich erinnern konnte, wollte sie malen. Nach dem Tod ihrer Eltern, als sie zu den Lunsfords gezogen war, hatte sie ihr ganzes Herz in die Aquarellmalerei gelegt. Und als sie die Ölfarben für sich entdeckte, änderte sich ihr gesamtes Leben. Ihre Kunst war inzwischen zu einer echten Leidenschaft geworden.
„Ich sehe hier gar keine Porträts“, bemerkte Thorne.
„Weil ich in der letzten Zeit keines gemalt habe. Es gab viel zu viele andere Motive, die meine Aufmerksamkeit weckten. “ „Wenn Sie aber als Porträtmalerin zu Ansehen kommen wollen, sollten Sie doch auch auf diesem Gebiet arbeiten, oder?“ „Ich denke schon“, gab Diana zu. „Es ist jedoch ein Problem, jemanden zu finden, der mir Modell sitzt. Ich habe Amy schon zu oft dazu verdonnert. Jetzt weigert sie sich und behauptet, sie würde dabei vor Langeweile verrückt werden.“
„Wie ich schon sagte, ich bin gerne dazu bereit.“
Diana zögerte. Sie sah, dass es Thorne ernst war. Und sie brauchte tatsächlich noch etwas Übung, besonders, was männliche Modelle betraf.
Sie hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, den männlichen Körper zu studieren. Frauen durften keine nackten Männer malen, das verstieß gegen die guten Sitten. Und Dianas Lehrer hatte sich strikt danach gerichtet. Es war schwierig, die Farbnuancen der Haut oder die Form der männlichen Muskeln wiederzugeben, wenn man sie noch nie zuvor gesehen hatte.
„Nun gut, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das tun würden.“
Sie merkte, dass Thorne überrascht war. Offensichtlich hatte er nicht mit ihrer Zusage gerechnet.
Und sie hatte noch einen Hintergedanken. Falls sie sich an ihn gewöhnen und ihn nur mit den Augen einer Künstlerin sehen würde, könnte sie ihm vielleicht besser widerstehen.
Sie schaute sich in der Kabine nach einem guten Platz für ihr Modell um. In Gedanken sah sie Thorne vor sich, wie er an einem Mast lehnte und der Seewind seine blonden Haare zerzauste.
Gerne hätte sie ihn an Deck gemalt, mit den Masten und den Segeln als Hintergrund, aber sie betrachtete dieses Bild jetzt erst einmal nur als eine Übung. Wenn es gelang, konnte sie die Masten immer noch einfügen. Jetzt brauchte sie nur einen Ort, wo ihr das Licht über die Schultern fiel, hell genug, um seine energischen Züge hervorzuheben. Die Sonnenstrahlen, die durchs Bullauge hereinschienen, mussten für den Moment genügen.
Diana überlegte und deutete dann auf die Kabinenwand neben den Kojen, dem Bullauge gegenüber.
„Stellen Sie sich bitte da hin, ja?“ Als er es tat, nickte sie zufrieden. „Jetzt lehnen Sie sich gegen die Wand und kreuzen Sie einen Fuß über den anderen.“
„So?“
„Das müsste gehen.“ Sie musterte ihn. Zu Stiefeln und ledernen Kniehosen trug er eine grobe, kurze Seemannsjacke ohne Halsbinde.
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