Sinnliches Erwachen
helfen.
„Ich habe Annabelle eine Phiole mit dem Wasser des Lebens gegeben, und ich brauche das, was davon noch übrig ist.“
Lange Zeit starrte Zacharel ihn an, bevor er fragte: „Warum willst du es haben?“
„Ist noch etwas übrig?“, wich Koldo aus. Er würde seine Gründe nicht offenlegen, solange er nicht wusste, ob das Gewünschte überhaupt noch zu haben war.
Die Gegenfrage ignorierend, wandte Zacharel sich um und winkte Koldo, ihm zu folgen.
Nach wenigen Schritten gab die Wolke den Blick frei auf ein Wohnzimmer, wie es den Reichsten unter den Menschen gebührte. Mit einer samtbezogenen Couch, die halb Chaiselongue war. Ideal für ein Pärchen, das aus einem Menschen und einem Gesandten bestand. Außerdem gab es einen dazu passenden Sessel und einen fein geschnitzten Beistelltisch aus Edelsteinen aus der ganzen Welt. An der hinteren Wand hing ein Wandteppich, auf dem in großen griechischen Lettern der Satz „Vollkommene Liebe vertreibt jede Furcht“ prangte.
Es war offensichtlich, dass hier Annabelle dekoriert hatte – Annabelle, die über den Beistelltisch gebeugt saß und über mehreren Büchern brütete, wobei sie immer wieder ganze Absätze in ein Notizbuch übertrug.
„Hi Koldo“, begrüßte sie ihn und blickte kurz auf. Sie hatte eine üppige wallende blauschwarze Mähne und warme bernsteinfarbene Augen. Ihre japanische Mutter und ihr amerikanischer Vater hatten mit ihr offenbar die perfekte DNA-Mischung erschaffen, denn es gab nicht einen Makel an ihren exquisiten Zügen. Und doch hielt sie keinem Vergleich mit Nicola stand. Eine Tatsache, die ihn begeisterte. Warum?
Grüßend neigte er den Kopf.
Zacharel glitt hinter ihr auf die Couch, sodass sie zwischen seinen Beinen saß. Auf keinen Fall würde Koldo sich anmerken lassen, wie dringlich sein Anliegen war,also ließ er sich auf dem Sessel gegenüber nieder. Ohne Flügel schränkte die Rückenlehne seine Bewegungen in keiner Weise ein.
Ihm fuhr ein weiß glühender Stich durch die Brust.
„Du hast gefragt, ob noch etwas davon übrig ist. Ja, ist es“, eröffnete ihm Zacharel.
„Oh, worum geht’s?“, wollte Annabelle wissen und ließ den Stift fallen.
„Wie viel?“, bohrte Koldo nach und ignorierte sie.
„Genau ein Tropfen.“
Annabelle grinste erfreut. „Also das Wasser des Lebens.“
Ein Tropfen. Das reichte für das, was Koldo vorhatte. „Ich möchte es dir abkaufen.“ Es fühlte sich an, als müsste er die Worte durch einen Tunnel voller Glasscherben quetschen. Für diese Flüssigkeit hatte er Blut vergossen. Hatte sein Haar dafür geopfert. Und jetzt musste er noch etwas dafür bezahlen?
Annabelle hatte sich an ihren Teil der Vereinbarung gehalten, rief er sich in Erinnerung. Sie hatte Zacharel aus dem Himmel ferngehalten, während Koldo nach seiner Mutter gesucht hatte. Das Wasser gehörte ihr, nicht ihm. Also ja, er musste noch etwas dafür bezahlen.
„Und noch einmal: Warum?“, beharrte Zacharel.
„Ich möchte eine Frau retten.“ Wenigstens für eine Weile.
Annabelle tippte sich mit einem Finger ans Kinn. „Ist sie menschlich?“
Doch mehr gab er nicht preis. Diese Information war nicht notwendig.
„Die Frau, die du gefangen hältst?“, fragte Zacharel in angespanntem Ton.
Er wusste, dass Koldo irgendwo eine Gesandte eingesperrt hatte, weil Koldo vor all den Wochen zwei Frauen aus der Hölle gerettet hatte. Seine Mutter und eine von Zacharels Soldaten. Die Soldatin war vollkommen überwältigt gewesen von den Qualen ihrer Verletzungen und hätte eigentlich nichts von dem mitkriegen dürfen, was Koldo tat. Und doch hatte sie es. Und sie hatte Zacharel alles berichtet, was sie erfahren hatte.
Zacharel hatte keine Ahnung, dass Cornelia Koldos Mutter war, und bisher hatte er auch nicht von ihm verlangt, sie freizulassen. Vielleicht, weil er wusste, dass Koldo sie dann einfach von Neuem einfangen würde. Stattdessen sorgte Zacharel dafür, dass er rund um die Uhr beschäftigt war, und jetzt hatte er ihm auch noch einen Babysitter verpasst. Wohl in der Hoffnung, ihn davon abzuhalten, noch mehr Fehler zu begehen.
Eines Tages würde Zacharel vielleicht begreifen, dass nichts Koldo von irgendetwas abhalten konnte.
„Nein“, antwortete er. „Nicht die, die ich gefangen halte.“ Und wieder sagte er darüber hinaus nichts.
„Sie …“
„Steht nicht zur Debatte.“
Zacharel knackte mit dem Kiefer, der Prototyp eines jeden Befehlshabers, dessen Untergebener ihm einmal zu oft frech gekommen war.
Weitere Kostenlose Bücher