Sintflut (German Edition)
dicke Männer. Das sind oft ausgesprochen gute Liebhaber. Aber viele von ihnen schämen sich für ihre Figur und sind schüchtern. Für manche allerdings«, bemerke ich mit Blick auf Leos Bauch, »gilt das Gegenteil: Je dicker, desto weniger passen sie auf, was sie sagen.«
Bevor Leo kontern kann, klopft es laut am Tor. Er springt auf, ich laufe hinterher, Paula folgt langsam. Draußen steht ein Mann, der mit gehetzter Stimme was zu Leo sagt und sofort wieder in der Dunkelheit verschwindet.
»Was ist los?«, frage ich Leo.
»Flavio ist tot«, sagt er fassungslos. »Und Fleischmann auch. Sie liegen in Flavios Atelier. Offenbar haben sie sich gegenseitig erschossen.«
»Was?«, stöhnt Paula, »wieso Flavio? Was wollte Martin von ihm? Wir müssen Akan wecken.«
»Nein, das hat Zeit, lass ihn schlafen. Er wird es früh genug erfahren. Außer uns weiß es noch niemand. Ich gehe gleich mal rüber. Wenn ihr mitwollt …«, sagt Leo so, als ob er für Gesellschaft dankbar wäre. Also gehen wir zu dritt zum Atelier. Es ist gleich um die Ecke, wie alles in Pluton.
Vor dem Haus ist es dunkel und ruhig. Der Mann, der im Schatten der Veranda Wache hält und auch die beiden Leichen entdeckt hat, weil er zu Flavio wollte, ist derselbe, der am Tor war und uns alarmiert hat. Die beiden schließen alle Fensterläden, dann gehen wir ins Haus und machen Licht. Wir betreten einen Raum, der bis unters Dach geht. Flavio hat das alte Bauernhaus gründlich entkernt und in einen einzigen großen Raum verwandelt. Fleischmann liegt neben dem Küchentisch, sein Pullover ist mit Blut getränkt. Flavio liegt neben der Eingangstür. Er trägt noch den gelben Overall und ist am Bauch voller Blut. Er liegt zusammengekrümmt auf der Seite, Martin auf dem Rücken. Neben beiden Männern liegt eine Waffe. Woher hatte Fleischmann sie? Und wieso hatte auch Flavio eine? Waren sie Komplizen gewesen? Flavio hatte mehr Geld als alle hier im Dorf, sogar ein Auto, ab und zu fuhr er nach Deutschland, verkaufte was von seiner Pseudokunst und traf sich mit Fleischmann. Aber wozu? Die Dinge spitzten sich zu, Fleischmann tauchte hier auf, Flavio versteckte ihn, sie bekamen Streit und brachten sich gegenseitig um. Aber wer hatte dann oben im Schlafsack übernachtet?
Ich dachte daran, wie überrascht Fleischmann war, als er die Aufnahme sah. Sein Verhalten passt nicht zur Theorie. Ich kann auch keinen durchtriebenen Bösewicht in ihm sehen, der jahrzehntelang unerkannt ein falsches Spiel treibt. Vielleicht kann ich das aber nur deshalb nicht, weil er tot ist, denn bei Toten neigt man zur Nachsicht und verzeiht. Das gilt für Martin, aber auch für Flavio. Ich sehe sie da liegen und sie tun mir leid. Außerdem ist mir übel. Ich habe lange keinen Erschossenen mehr gesehen.
Einige von Flavios Kunstobjekten liegen zertrümmert auf dem Boden. Bücher sind aus den Regalen gezogen, im Kamin wurde etwas verbrannt. Unter einem der herumliegenden Papiere schaut ein kleines Foto hervor, das ich aufhebe. Es sieht so aus wie eins der Familienbilder, als unsere Eltern jung, ich noch klein und Paula noch nicht auf der Welt war, etwas größer als ein Passbild, schwarz-weiß, gezackter Rand. Es zeigt einen strammen Mann in Kniebundhosen und kariertem Hemd, der unter einem Gipfelkreuz steht. Auf der Rückseite steht ›Peleaga 1960‹.
»Was hast du da?«, fragt Leo und ich zeige ihm die Aufnahme.
»Keine Ahnung, wer das ist«, sagt er matt und irgendwie dankbar für die Ablenkung. »Ich frage mal Ehut«, fügt er hinzu und geht zu dem Mann, der an der Tür Wache hält. Ich verstehe nicht, was er antwortet, aber den Namen Ludovico höre ich deutlich heraus. Es wird eine längere Geschichte, dann kommt Leo zu mir und Paula zurück.
»Das ist Ludovico«, sagt Leo. »Seine Frau Maria bekam nur ein Kind – eine Tochter, die früh starb. Nach dem Tod des Mädchens wurde die Mutter trübsinnig und nahm sich das Leben. Ludovico fand Trost bei der armen Kathrin, deren Mann jeden Pfennig versoff. Sie wurde schwanger und brachte Rodolfo, Flavios Vater, zur Welt. Bald darauf setzte Kathrin ihren Mann vor die Tür und zog – mit heimlicher Unterstützung von Ludovico – ihren Sohn allein groß. Leo nimmt an, Rodolfo und später Flavio haben das Foto von Kathrin bekommen.
»Hast du das etwa nicht gewusst?«, frage ich Leo.
»Nein. Und wenn – ich hätte es bestimmt unwichtig gefunden. Was konnte Flavio für seinen Großvater«, sagt Leo betont gleichgültig. Das würde ich
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