Sintflut (German Edition)
auch machen, wenn mir so ein wichtiger Aspekt entgangen wäre und ich den Ball flach halten wollte.
Doch daraus wird nichts. »Ich glaube, es hat doch was zu sagen«, kontere ich. Seit gestern hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, und Paula schaut mich fragend an. Dann spricht sie meinen Gedanken aus: »Ludovico war nicht immer dick. Er war sogar Bergsteiger«, stellt sie fest.
»Er hat den Peleaga bestiegen«, stimmt Leo zu. »Das ist ein Berg in Rumänien, über 2500 Meter hoch. Nicht gerade viel, aber trotzdem braucht man Kondition. Und Klettererfahrung, denn der Peleaga ist kein Berg mit schön angelegten Wanderwegen wie bei euch in den Alpen.«
»Und dafür konnte er hier trainieren. Die Felsen hinter Pluton sind ideal«, setze ich fort. »Er kannte bestimmt jeden Stein dort und …«
»… so kommen wir zu Marlenes Theorie des bequemen Zugangs. Man braucht nur das Wort bequem durch das Wort bekannt zu ersetzen«, ergänzt Paula.
»Genau«, mache ich weiter. »Ein bekannter Zugang, der auch für einen dicken Mann kein Problem ist, wenn sich die Anstrengung in Grenzen hält. Ludovico hatte den zweiten Zugang gefunden, aber schon vor dem Erdbeben, als er noch ein junger Mann war. Den Zugang gab es immer schon. Er ist nicht erst durch das Erdbeben entstanden.«
»Ja, das ist es«, sagt Leo heftig nickend, »den Zugang gab es immer schon und Ludovico behielt das lange Zeit für sich. Schließlich konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen, nahm mit einem Fremden Kontakt auf, zeigte ihm die Arche, ließ ihn ein Foto machen. Dann kam das Erdbeben. Das war das Beste, was ihm passieren konnte. Solange der Haupteingang verschüttet war, würde niemand merken, dass der Schatz weg war. Er brauchte nur durch die Hintertür zu kommen und unbemerkt alles abzutransportieren.«
»Er holte sich den goldenen Denker«, spekuliere ich weiter. »Aber warum? Um ihn jemandem zu zeigen? Er kam nicht weit, zu dieser Zeit war das schon alles zuviel für ihn.«
»Und Flavio«, sagt Leo mit Blick auf den Toten, »scheint was gewusst zu haben. Dieses Wissen teilte er mit Fleischmann, warum auch immer.«
Ehut sagt etwas auf Rumänisch. Wieder scheint es um Ludovico zu gehen. Leo schüttelt immer wieder fassungslos den Kopf. Dann ist Ehut mit seiner Geschichte zu Ende.
»Ehut ist als Junge viel geklettert«, erklärt Leo. »Manchmal hat Ludovico ihn mitgenommen. Einen Weg sind sie besonders oft gegangen. Eines Tages ist Ludovico alleine dort unterwegs gewesen und schwer gestürzt. Danach hat er geschworen, nie mehr diesen Weg zu gehen, denn dort würde ein böser Geist lauern. Und Ehut, der sogar heute noch abergläubisch ist, hat den Weg dann sein Leben lang gemieden.«
»Klingt noch weniger nach einem bequemen Zugang«, sage ich.
Ehut wird uns den Weg zu zeigen, wir sollen Akan wecken, Leo holt uns mit dem Jeep ab. »Und was wird aus Martin und Flavio?«, fragt Paula. »Wie können die doch hier nicht einfach so liegen lassen. Außerdem haben wir sie gefunden. Müssen wir da nicht eine Zeugenaussage …«
»Der Zugang ist jetzt wichtiger«, entscheidet Leo. »Um die Toten kümmern sich andere. Wer sie gefunden hat, ist doch egal. Wir sprechen alle mit einer Stimme. Ich kümmere mich darum, bevor wir losgehen.«
Wir treten auf die Veranda. Die Nachtluft tut gut nach all dem Blutgeruch, Leo begleitet uns zu Akans Haus hinüber. Als wir vor dem Tor stehen, fällt Paula ein, dass sie ja noch nicht richtig laufen kann, will aber trotzdem mit. Ehut kann mit dem Jeep nahe an den Weg heranfahren, mit etwas Glück sind also keine großen Distanzen zu überwinden. Sie könnte es schaffen.
Akan sagt lange kein Wort, als wir ihm alles erzählt haben. »Flavio war mal mein bester Freund«, bringt er schließlich hervor. »Das ist lange her, aber ich erinnere mich noch gut. Er war ein Angeber, aber kein schlechter Kerl.« Dann dreht er uns den Rücken zu, kramt hektisch in irgendeiner Schublade, öffnet eine Schranktür, schließt sie wieder, holt von irgendwoher zwei Taschenlampen und zwei Rucksäcke, packt mit fahrigen Bewegungen in den einen Rucksack die Lampe und etwas Proviant, in den anderen ein paar Klettersachen. Dann hören wir den Jeep vorfahren. Auch Leo und Ehut haben Rucksäcke dabei.
Akan sitzt links neben Paula auf dem Rücksitz, hält ihre Hand und starrt in die Dunkelheit. Ich sitze rechts von Paula, Ehut vorne. Er sagt Leo, wie er fahren muss. Dann kommt die Morgendämmerung. Für eine Weile wischt der neue
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