Sintflut (German Edition)
Tag die Müdigkeit weg. Vor uns tauchen jetzt die scharf gezackten, dunklen Felswände auf, die Akan und ich gestern zu Fuß erreicht haben. Der Jeep holpert über einen Feldweg, der direkt auf die Felsen zuläuft. Wir fahren, bis es nicht mehr geht, dann hält Leo an.
»Frag Ehut, ob er weiß, wo Ludovico gestürzt ist«, sage ich flüsternd zu Leo, nachdem wir ausgestiegen sind.
»Habe ich schon. Ludovico hat ihm die Stelle nie gezeigt, wegen dem bösen Geist, versteht ihr«, sagt Leo und tippt sich an die Stirn, aber so, dass Ehut es nicht sehen kann. »Sie kann aber nicht weit sein, denn Ludovico war schwer verletzt und hätte unmöglich einen längeren Rückweg geschafft.«
»Da ist was dran«, gebe ich zurück. »Wahrscheinlich ist es die Absturzstelle, an der Ludovico den Zugang gefunden hat. Seinen üblichen Weg war er so oft gegangen, da wäre ihm doch vorher schon mal was aufgefallen.«
»Du hast recht«, sagt Akan. Ehut führt uns zu einem Pfad, der zuerst nur leicht ansteigt, doch bald beginnt der Aufstieg. Nach etwa 200 Höhenmetern machen wir eine Pause. Die Sonne ist aufgegangen und Paula muss ausruhen. Auch ich kann eine Rast brauchen. Ich habe Durst und schwitze in meiner viel zu dicken Jacke. Wir setzen uns auf den Weg. Ich trinke von dem Wasser, das Akan mir hinhält, dabei schaue ich den Abhang hinunter, der sich vor mir auftut. Er ist steil, und wenn ich da runter müsste, würde ich auf dem losen Geröll bis zu den Steinen rutschen, die weiter unten wie eine Zahnreihe vor einem unsichtbaren Nichts stehen.
Eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben, der Schatten tut gut. Ich fange gerade an, mich etwas zu erholen, da drängt Leo zum Aufbruch. Ungern stehe ich auf und schaue voller Selbstmitleid der Wolke hinterher, die jetzt die Sonne wieder freigibt. Sie erfüllt den unfreundlichen Abhang mit Licht und lässt weit unten etwas aufblitzen.
»Schaut nur«, rufe ich und zeige auf das blitzende Ding, was immer es sein mag. Akan sieht es, springt hinunter, völlig schwerelos und ohne auch nur einmal zu straucheln. Die Steine reagieren kaum auf die Berührung seiner Füße. Sie knirschen nur ganz leise und bleiben liegen, wo sie sind. Unten angekommen hebt Akan das Ding auf und klettert wieder zurück. Dann steht er schwer atmend vor uns und zeigt uns eine schöne alte Taschenuhr. Das Glas ist zerbrochen und die Zeiger sind stehen geblieben. Im reich verzierten Deckel sind die Initialen L.M. eingraviert. »Ludovico Maroni«, sagt Leo voller Verachtung.
Die Uhr zeigt: Wir sind auf der richtigen Spur. Doch etwas stimmt nicht. Paula kommt als Erste drauf: Wenn Ludovico selbst die Uhr verloren hätte, sähe sie anders aus. Sie wäre oxidiert, verrostet, stumpf und würde nicht in der Sonne blitzen. Was wir in der Hand halten, liegt erst seit ganz kurzer Zeit im Freien.
»Vielleicht hat Flavio sie hier verloren … Immerhin gehörte sie seinem Großvater«, schlägt Akan vor.
»Das würde ja bedeuten …« Leo braucht nicht weiter zu sprechen. Wir wissen alle sofort, was das bedeutet. Wenn Flavio die Uhr verloren hat, dann hat er den zweiten Zugang gesucht und vielleicht auch gefunden. Und Fleischmann auch. Sie fanden den Schatz, bekamen Streit und …
»Vielleicht haben die beiden schon alles beiseite geschafft«, spricht Akan meine Befürchtung aus.
»Oder Ludovico vor 20 Jahren«, sagt Leo finster. »Die Chance, dass das Gold weg ist, ist gerade um 100 Prozent gestiegen. Aber es hilft alles nichts, wir müssen da runter und schauen, ob es irgendwo weitergeht. Schaffst du das, Paula?«
Paula meint, sie kann, Akan meint, sie kann nicht.
Wenn das die richtige Stelle ist, dann war Ludovico besser in Form, als ich dachte, denn immerhin ist er trotz seiner Körperfülle da runter und auch wieder hoch geklettert. Auf jeden Fall war er besser zu Fuß als Paula mit ihrem Knie. »Bevor du ein Risiko eingehst«, rate ich deshalb, »sollten wir es lieber lassen. Entweder hat Ludovico den Schatz beiseite geschafft oder Fleischmann und Flavio. In beiden Fällen können wir uns das hier sparen. Haben sie ihn nicht gefunden, dann haben wir noch etwas Zeit, denn die Drei sind nicht mehr am Leben.«
Wie im Schatz der Sierra Madre vernebelt der Goldrausch die Gehirne. Paula besteht darauf, weiterzumachen und mitzukommen, auch die beiden Männer sind nicht zu bremsen. Zum Glück ist der Abstieg leichter, als er von oben aussieht. Wenn man so wie Akan das richtige Tempo findet und ein gutes Gleichgewicht hat,
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