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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Materielle ein.
    Ähnlich verhielt es sich mit dem Netz, das die Spinne zu weben begann. Es war von Anfang an da, schwebte als Bauplan, als Skizze dreidimensional in der Luft zwischen zwei Zweigen. Während die Spinne die Linien entlang krabbelte, holte sie die Fäden von einer Realität in die andere.
    Alles war eins. Gedanke und Wirklichkeit. Vorstellung und Umsetzung. Die Klebfäden, die elastischen Fäden, die Sicherungsfäden und andere Spezialgewebe, die alle mit eigenen Drüsen erzeugt wurden, sprachen auf ein Muster an, das Gott vorgezeichnet hatte.
    Die Spinne, die den Namen Darren Edgar getragen hatte, als sie noch ein Mensch gewesen war, spann ein gewaltiges Radnetz, ohne einen Augenblick zu zaudern, und das war das Schönste – ein einziges Mal nur in seinem Leben etwas zu tun, ohne sich zu fragen, ob es richtig und gut war. Das Netz war von Natur aus gut. Es konnte gar nicht anders sein. Selbst wenn es schlecht gewesen wäre, wäre es gleichzeitig noch gut gewesen.

8
    „Ä-ätt“, sagte die Spinne.
    „Päfätt“, sagte das Zwischenwesen.
    „Perfekt“, sagte Darren. „Eine perfekte Arbeit. So perfekt.“
    Dann bemerkte er, dass er auf der Erde lag, am Rand der festgetretenen Stelle, und auf einem Grashalm kaute, der ihm in den Mund wuchs. Er war wieder angekommen bei zwei Armen, zwei Beinen, zwei Augen, in einer Welt, in der nicht einmal ein Gedanke vollkommen sein konnte, geschweige denn ein materielles Ding.
    „Beeindruckend“, keuchte er und rappelte sich auf, kroch bis zu dem Stein, auf dem er irgendwann (vermutlich nur wenige Minuten in der Vergangenheit) gesessen hatte, ehe sein Drogentrip begann. Aus Mangel an Erfahrung hatte er keinen Schimmer, welchen Stoff er über die Nase zu sich genommen hatte, aber das Zeug musste stärker sein als alles, worüber er bislang gehört oder gelesen hatte, denn es hatte binnen weniger Augenblicke in seinem Körper zu wirken begonnen, und ebenso abrupt war die Drogenreise zu Ende gewesen.
    Der Medizinmann saß noch (oder wieder) auf seinem Stein. Aber er schwankte ein wenig.
    War er auch eine Spinne gewesen, oder hatte er die Welt aus der Sicht eines anderen Tieres gesehen, eines Falken vielleicht oder eines Nerzes? Schon begann Darrens analytischer Verstand wieder zu forschen, einen Sinn und ein Muster zu suchen. Der Indianer hatte ihm ein Geschenk gemacht, so viel war ihm klar. War es einfach ein Moment Rausch, den er dem Weißen geschenkt hatte, oder hatte er ihm bewusst einen Blick auf eine tiefere Wahrheit gestattet, auf eine Welt hinter der Welt, von der sonst nur die Indianer etwas ahnten?
    Soweit er sich erinnerte (seine Kollegin Margarete Maus kannte sich in dieser Ecke besser aus, aber 1848 waren noch nicht einmal ihre Urgroßeltern geboren), gehörten Spinnen durchaus zu den gängigen Totemtieren in den Indianermythen.
    War die Spinne etwa sein Totemtier? Sir Darrens Welt war der Spiritismus, weniger der Animismus und Schamanismus. Obwohl viele Eingeweihte behaupteten, der Schritt vom einem zum anderen sei nur ein kleiner.
    Wie dem auch sein mochte – es waren Momente unglaublicher Erfüllung gewesen, aber konkrete Botschaft hatte er keine empfangen. Auch keinen Hinweis darauf, wie er den von den Pocken bedrohten Indianern helfen oder wenigstens seine eigene Haut retten konnte.
    Falls der Medizinmann ihn einlud, ihm ins Dorf zu folgen, musste er ablehnen. Es war zu riskant. Dass er von Conny nicht angesteckt worden war, mochte nicht viel mehr als Glück gewesen sein. Er war keine Mutter Theresa. Er konnte und wollte sich nicht opfern, zumal er für die Kranken nichts tun konnte. Auch der Weg zurück nach Rich Stone Valley war ihm verschlossen. Cassel und die anderen hatten ihm in kaum zu überbietender Deutlichkeit gezeigt, was ihnen sein Leben wert war. Wenn er zurückkehrte, musste er damit rechnen, zügig beseitigt zu werden.
    Und was würden die Indianer tun? Dachten Sie daran, die Goldsucher anzugreifen? Was immer sie auch unternahmen, sie waren dem Untergang geweiht. Wahrscheinlich würden sich einige von ihnen retten können, falls die Gesunden das Dorf verließen und sich woanders ansiedelten. Darren machte eine neue Skizze in der Erde und versuchte damit, dem Medizinmann diese Möglichkeit vorzuschlagen. Die Miene des Indianers wurde zu etwas, das härter war als Stein, kaum dass er den Inhalt der Zeichnung begriff, und in seinen Augenwinkeln zuckte es gefährlich.
    Unter keinen Umständen werde ich meine Kinder und Brüder und

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