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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Menge begabter Menschen, die feine und wache Sinne ihr eigen nannten, und keiner davon durfte von dem geheimen Treffen erfahren.
    Über Wiesen war sie gegangen, hatte die dunklen Halme mit den silbern beleuchteten Kanten sich in der sanften Brise wiegen sehen. Die Schwärze des Waldes hatte sie nicht geschreckt – im Gegenteil, sie war den Schächten ausgewichen, die das Mondlicht hier und da durch das lockere Laub der älteren Bäume grub, hatte sie gemieden wie der Vampyr das Sonnenlicht. Sie fürchtete nicht, sich zu verirren, noch fürchtete sie, dass der, den sie gerufen hatte, sich nicht einfinden würde. Seine Ausstrahlung fühlte sie schon, seit sie die Festung verlassen hatte. Sie war nicht nervös, nur vorsichtig. Unter keinen erdenklichen Umständen durfte sie gesehen werden.
    Was sie vorhatte, war kein heimliches Rendezvous mit einem hübschen Burschen. Das Geschöpf, das sie treffen würde, würde nicht hübsch sein.
    Der Treffpunkt lag in der Mitte einer großen Grasfläche. Die Halme waren hier niedriger als anderenorts, und ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft, den auch der Wind nicht vertreiben konnte. Es war, als habe es hier vor nicht allzu langer Zeit einmal ein Feuer gegeben. Das frische Gras versuchte diese Tatsache zu verbergen, doch das schaffte es höchstens für das Auge, denn gegen den Brandgeruch kam es nicht an.
    Als sie sich dem Ort näherte, glaubte sie, der andere sei noch nicht gekommen. Doch an einer bestimmten Stelle merkte sie, dass sie sich irrte. Er war längst da und wartete auf sie. Nur stand er nicht auf dem Erdboden, wo seine dunkle Gestalt das Gras verdeckt hätte und ihr dadurch schon von weitem ins Auge gefallen wäre, sondern er schwebte in einer Höhe von vier oder fünf Schritt über dem Boden, so dass er nur die Sterne verbarg, und den Mond, wenn man ihn aus dem richtigen Winkel betrachtete.
    Er war größer als ein Hirsch, und die knorrigen Flügel, die bewegungslos aus seinem Rücken ragten, hatten tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Geweih. Er brauchte nicht mit den Flügeln zu schlagen, um in der Luft zu schweben – die Fähigkeit des Fliegens war ein so tiefer Bestandteil seiner Existenz, dass keine physikalischen Spielchen mehr nötig waren. Er brauchte auch nicht zu atmen, um zu leben, den Mund nicht zu bewegen, um zu sprechen. Kein körperliches Herz schlug in seiner Brust, und doch pochte die Luft in seiner Umgebung, angestoßen von einer Energie, die in kleinen Schüben aus ihm herausstrahlte wie ein Puls.
    Sie fühlte den Drang, sich vor ihm auf die Knie zu werfen, doch sie näherte sich ihm bis auf wenige Schritte und blieb dann aufrecht stehen. Seine Aura war jetzt so stark, dass sie ihr eigenes Herz nicht mehr spürte, wenn sie die Hand auf ihre Brust legte. Von diesem Pulsieren abgesehen wirkte er wie tot. Wie ein Stück schwarzes, verbranntes Holz, das die Natur in eine groteske, unregelmäßige Form gezwungen hatte. Wäre er auf der Erde gestanden, hätte er ein Baum sein können.
    Sie zögerte. Wie begrüßte man ihn? War es besser, ihm für sein Kommen zu danken, oder musste sie stolz und furchtlos bleiben? Würde er sie zermalmen, wenn sie sich zu forsch gab, oder wartete er nur darauf, das kleine Flämmchen der Angst in ihr zu erspüren, um sie mit einem einzigen Pulsschlag dieser Energie auszulöschen?
    „Ich bin gekommen“, sagte sie, ohne sich für eine der beiden Alternativen entscheiden zu können. Vielleicht war es klug, nüchtern und funktional zu bleiben. Gefühle aller Art auszuschalten. Auch er schien keine Gefühle zu haben. Sie spürte keinen Hass aus seiner Richtung, keine Unruhe, nicht einmal Arroganz.
    „Auch ich bin gekommen“, antwortete der Dunkle. Seine Stimme schien aus der Erde selbst zu strömen, wie das Leben, das die Gräser wachsen ließ, nicht vom Himmel her, wo er noch immer über ihr schwebte. „Und ich habe, worum du mich gebeten hast.“
    Offenbar war ihre Entscheidung richtig gewesen. Er wollte keine Huldigung, verlangte keine Demut oder Kriecherei, nur Aufrichtigkeit. Und sie war bereit, ihm diese zu geben. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt, war aus den fernen Ländern des Ostens zu ihr gekommen, doch sie bezweifelte, dass es für ihn einen Unterschied machte, ob er eine Meile überwand oder tausend. Der schwarze Engel des Ostens – so nannten ihn die Schriften, die wenigen Dokumente, die ihn kannten oder wagten, ihn zu kennen. Einer dieser Aufschriebe wies darauf hin, dass er nicht

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