Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Einheit mit ihrer Waffe bildete, doch Jaque hatte sich nie davor gescheut, riskante Spiele zu spielen. Jede gefährliche Situation war bis zum Bersten gefüllt mit neuen Erfahrungen, Erkenntnissen. Die Gefahr zu meiden hieß, der Weisheit den Rücken zu kehren.
„Deine offene Feindseligkeit gegenüber unseren Lehrern ist selbst den einfachsten Kreaturen in unserer Mitte nicht verborgen geblieben“, meinte Jaque. „Wie hätte ich sie dann übersehen können?“
Sabel bewegte ihren Arm, ließ ihren Ellbogen kreisen und ihre Schulter rucken, ohne den Druck der Schwertspitze auf die Kehle des Gegenübers zu verstärken oder wegzunehmen. Man bekam den Eindruck, sie hätte aus dem Stand einen Salto machen können, ohne dass sich die Klinge auch nur um die Breite eines Sandkorns verschob. „Wenn deine Weisheit etwas wert sein soll“, fauchte sie, „musst du eines erkannt haben: Es zeugt nicht von feindlichen Gefühlen, wenn ein Mensch sich den Abstand verschafft, den er zum Leben braucht.“
„Das mag sein. Aber um diesen Abstand zu erlangen, sind manche schon zum Mörder geworden.“
Sabel senkte die Waffe. Als die Spitze keinen Hautkontakt mehr zu Jaque hatte, schien die Stelle, wo sie gelegen hatte, mehr zu schmerzen als vorher. Es war, als habe Sabel den Schmerz eben erst … freigegeben. Irritiert rieb sie sich den Hals. Schweißtropfen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet.
„Ich verdächtige dich nicht“, sagte Jaque voller Anspannung. „Ich kann dich nur nicht ausschließen. Noch nicht.“
„Das bedeutet, du hast keine Vorstellung, wohin unsere Lehrer verschwunden sind? Du enttäuschst mich. Man munkelt, du seist das klügste Stück Fleisch, das sich jemals in Valkynguurs Mauern aufgehalten hat. Möglicherweise hat ja jemand Klugheit mit Kriecherei verwechselt. Du müsstest am besten über das Schicksal der Lehrer Bescheid wissen, da du ja nur selten von ihrer Seite weichst.“
Jaque grinste gezwungen. „Geschwätz! Würdest du einer spontanen Idee Gehör schenken, die durch keinerlei Beweise gestützt wird?“
„Es wäre Zeitverschwendung, sich so etwas anzuhören.“
Die Frau mit der roten Haarlocke nickte. „Wie ich vermutete. Daher hülle ich mich in Schweigen. Bis ich mehr weiß.“
Jaque hörte an dem leisen Pfeifen, dass der Säbel knapp an ihrem Ohr vorbeigeschossen war. Er bohrte sich in eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Sabel stand noch unverändert vor ihr, wie es schien. Nur dass die Waffe nicht mehr in ihrer Hand lag.
„Ich sehe Gräber“, zischte die Bleiche. „Es ist eines darunter, das deinen Namen trägt. Und ich sehe wunderschöne bunte Blumen darauf. Frühlingsblumen …“
Jaques Miene wurde hart.
Es war Frühling.
Sie drehte sich um, zog das Schwert aus der Tür und reichte es Sabel.
3
Die Gestalten, die auf Valkynguur eine Heimat gefunden hatten, kamen allmählich aus den Schatten gekrochen. Felinep zum Beispiel, der schwarze Panthermann, der gewiss die Nacht wieder außerhalb des Gebäudes auf Streifzügen verbracht hatte. Niemand wusste, was er während seiner nächtlichen Ausflüge eigentlich tat, ob er Beute schlug, ob er die Gegend auskundschaftete, den Mond bewunderte oder Intrigen spann. Seine verschlagen blickenden Augen schienen anzudeuten, dass er ein wenig von allem tat. Wenn er schlank und biegsam auf allen Vieren durch die Räume schlich, die Schnurrhaare in seinem katzenhaften Gesicht mit dem menschlichen Mund aufgerichtet, die dunklen Augen aufmerksam, aber trügerisch blitzend, die Schritte federnd, dann schien es unvorstellbar, dass er überhaupt jemals schlief. Er wäre der ideale Wächter gewesen und hätte das Verschwinden der fünf Lehrer gewiss mit Leichtigkeit aufklären können, wäre da nicht der unbezähmbare Drang gewesen, der ihn stets in die Ferne trieb. Selten hielt er es länger als einige Stunden auf Valkynguur aus – und bisher hatte es niemanden gegeben, der versucht hätte, ihn zurückzuhalten.
Auch Schorge, der Ogr, war längst wach, ließ sich jedoch erst jetzt blicken. Im Gegensatz zu Felinep entfernte sich Schorge niemals von der Festung. Trotzdem war er ein schlechter Augenzeuge. Wenn er Langeweile hatte, stellte er sich mit dem Gesicht gegen die Wand und stierte stundenlang auf eine Stelle im Fels. Er schien dabei genau das zu empfinden, was andere Menschen verspürten, wenn sie die Blicke über ein weites Tal mit Hügeln und Bächen und farbenfrohen Behausungen schweifen ließen oder über den endlosen Ozean,
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