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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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unentgeltlicher Arbeit auf der Baustelle bereit erklären würde.
    Als die Bauarbeiten abgeschlossen waren, erhielten sogar alle Anwohner Briefe von der Stadt – mit schönen Sondermarken darauf, die eifrig gesammelt wurden. Basierend auf der erfolgreichen Durchführung der Arbeiten, deren Erfolg nicht zuletzt der lobenswerten freiwilligen Beteiligung und dem überaus großen Verständnis der Anwohner zuzuschreiben sei, könne das Lebensniveau in diesem schwierigen Viertel als deutlich verbessert betrachtet werden.
    Dies habe drei Konsequenzen: Erstens müsse das Mietniveau angehoben werden, was aber nur indirekt zu Lasten der Bewohner gehe. Zweitens gestatte es das Gesetz nun über eine komplizierte Statistik-Formel, weitere Mieter in den Häusern unterzubringen. Dazu sei es notwendig, dass die bisherigen Bewohner ihre Kellerräume abtraten. Drittens müsse man die Verschandelung der Straßen, Vorplätze, Häuserwände und Wohnungen durch die Mieter nun stärker unter Strafe stellen – eine Entwicklung, die unter dem Strich allen Anwohnern zum Vorteil gereiche, da sie eine saubere, lebenswerte Umwelt garantiere.
    Frau Kapf schrubbte Tag und Nacht an den Kunstwerken ihrer Kinder, ohne ihrer Malwut Herr zu werden. Das verunstaltete Wahlplakat jedoch rührte sie nicht an. Ihrer Meinung nach war sie dafür nicht verantwortlich. Und sie hatte ausnahmsweise einmal Glück. Das Plakat blieb monatelang vor ihrem Haus stehen, ohne dass sie deswegen belangt wurde.
    In den Keller desselben Hauses zog schon bald ein schmutziger älterer Herr namens Paulsen ein. Er brachte einen Haufen Bücher und eine alte Schreibmaschine mit, trug stets denselben zerschlissenen Mantel, auch in der Wohnung, und rasierte sich nie. Die Zeichnungen von Rudi, Harri und Tommi schienen ihn brennend zu interessieren. Ständig bewunderte er sie im Treppenhaus, und mehr als einmal musste Frau Kapf ihn aus ihrer Wohnung werfen, in die er sich während ihrer Abwesenheit geschlichen hatte.
    „Diese Zeichnungen haben Macht, Frau … äh …“, sagte er jedes Mal. „Sie bewegen etwas auf der Ebene der Übereinstimmungen. Wirklich. Ich kenne mich mit solchen Dingen aus.“
    Niemand mochte den neuen Mieter (offenbar ein heruntergekommener Gelehrter, der Dinge sagte, die niemand verstand), doch Frau Kapf nahm an, dass sie mit ihm noch Glück im Unglück gehabt hatte. Bei Tritschlers, Salenskys und anderen Nachbarn zogen insgesamt vier Sexualstraftäter ein. Bürgermeister Gerstschneider hatte diese Straße freiwillig zur Wiedereingliederung der reumütigen Sünder angeboten, so hieß es.
    Die drei hübschen minderjährigen Töchter der Tritschlers liefen innerhalb einer Woche von zu Hause weg und mussten von der Polizei wieder aufgesammelt und zurückgebracht werden.
    „Gut, dass die Polizei sich um unsereins so kümmern tut“, meinte Frau Tritschler, die sehr erleichtert war, ihre Töchter wiederzuhaben.
    „Sicherheit und Stabilität“, sagte Frau Salensky.
    Und Herr Paulsen, der das Gespräch mitangehört hatte, gab wieder einmal einen Kommentar ab, den keiner so recht verstand: „Von dem Politiker, der die vorzeitige Entlassung dieser vier Männer erwirkte, habe ich einmal ein Wahlplakat gesehen. Kinder hatten ihm einen großen Heiligenschein über den Kopf gemalt. Finden Sie das nicht originell?“
    Die anderen zuckten die Schultern und gingen weg.
    Bisweilen sah man abends eine dunkle Limousine durch die Straße fahren, ganz langsam, in Schrittgeschwindigkeit. Frau Salensky fand, dass es die Sicherheit und Stabilität der Nachbarschaft verstärkte und stellte sich jeden Abend vors Haus, um dem Wagen zuzuwinken, wenn er vorüberfuhr. Frau Tritschler nahm die Situation zum Anlass, um ihren drei Töchtern ein paar Weisheiten auf den Lebensweg mitzugeben. Vor allem sei es wichtig, dass eine Frau ihre Jungfräulichkeit so lange bewahrte, bis eines Tages ein Mann in einer solchen Limousine kam und um ihre Hand anhielt, sagte sie bei Tisch. Die Mädchen nickten und reichten dem begnadigten Vergewaltiger stumm den Nachtisch. Ihre Mutter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihn zum Mittagessen einzuladen, weil da der Vater in der Fabrik war und weil sie fand, dass es für die Entwicklung der Kinder besser sei, wenn ein Mann bei den Mahlzeiten zugegen war.
    Frau Kapf gefiel der Chauffeur des dunklen Wagens ausnehmend. Sie hatte mehrfach einen Blick auf ihn erhascht. Herr Paulsen, der abends aus seiner Kellerwohnung kroch, behauptete, auf dem Rücksitz ein

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