Siras Toten-Zauber
die Palmenblattleser sind von den Yabusame-Kämpfern vertrieben worden. Sie haben die Herrschaft übernommen und sonst keiner.«
»Das heißt, daß man uns erwartet.«
»Davon gehe ich aus.«
Ich strich durch mein Haar. Allein waren wir nicht mehr. Die Menschen trauten sich wieder aus ihren Hütten, aber die Angst stand auf den Gesichtern wie festgeschrieben.
Sie hatten das Unheimliche erlebt, es waren all die Alpträume Wirklichkeit geworden, noch loderten die Flammen, doch sie hatten kein Opfer bekommen.
Ich half Tarita dabei, ihren Mann auf die Beine zu stellen. Kasma krümmte sich vor Schmerzen. Er hatte ebenfalls unter den Flammen gelitten, sein Gesicht war dermaßen geschwärzt, daß ich kaum einen hellen Hautflecken entdeckte.
Mandra erzählte ihm, daß ich ihn gerettet hatte. Kasma erfaßte meine Hände und drückte sie. Mit einem Brocken Englisch versuchte er, sich zu bedanken.
Mir war es peinlich, ich winkte ab und warf auch meinem indischen Freund einen hilfesuchenden Blick zu.
Mandra lächelte. »Da wirst du einen Freund fürs Leben gefunden haben, John.«
»Es war doch nur meine Pflicht.«
»Das sagst du.«
Ich winkte ab und kam auf ein anderes Thema zu sprechen. »Wir müssen hin, Mandra.«
»An Suko denkst du nicht?«
Für einen Moment wurde ich still. »Und ob ich an ihn denke. Ich kann mir auch vorstellen, wo ich ihn finde oder wir ihn finden.«
»Dann laß uns fahren!«
Der Jeep stand dort, wo wir ihn zurückgelassen hatten. Auf dem Weg zum Fahrzeug schritten wir durch das Spalier der Bewohner. Es hatte sich in Windeseile herumgesprochen, was an der Opferstätte geschehen war, und die Blicke der Menschen sprachen Bände. Sie waren von Dankbarkeit erfüllt. Auf uns wurde eingesprochen, doch nur Mandra konnte Antworten geben.
Im Wagen hockend atmete ich tief durch. »Das wäre geschafft«, flüsterte ich.
»Das Schlimmste liegt vor uns«, murmelte der Inder und drehte den Zündschlüssel. »Ich hätte nicht gedacht, daß die Bibliothek in fremde Hände übergehen würde.«
»Dann sind wir richtig gekommen.«
Mein Freund nickte. »Ich hoffe, daß du recht hast und es noch nicht zu spät ist…«
***
Es war eine harte Strecke, die wir hinter uns brachten. Heraus aus Bangalore. Mochte das Gebiet, in dem wir die alte Bibliothek finden konnten, zwar offiziell noch zum Stadtgebiet zählen, die Gegend allerdings machte einen ganz anderen Eindruck. Sie war rauh, felsig, stauberfüllt. Wolken durchkreisten sie träge. Der Jeep hatte zu kämpfen, denn Pfade hatten wir verlassen.
Ich klammerte mich an einem Haltegriff fest. Jeden Stoß merkte ich in den Handgelenken. Über uns schwebte der weite, sehr dunkle Himmel wie ein großes Tuch, das hin und wieder aufgeschnitten war, um die Sterne blinken zu lassen.
Der von den Reifen aufgewirbelte Staub drang in den Wagen. Als Kruste legte er sich auf unsere Gesichter und auf die Lippen. Er schmeckte scharf und irgendwo salzig.
Die Kulisse der Berge umstand uns wie eine schweigende Welt. Wo sich zwischen den Gipfeln tiefe Sättel eingruben, sah es aus, als wären sie durch zahlreiche Schlüssel verbunden.
Die Lichter der Stadt lagen tiefer. Sie blinkten wie ein glitzerndes Maar. Mandra lächelte mir zu, als er den Wagen in eine Kurve riß und wir plötzlich einen Pfad erreichten, der als staubige Piste in die Berge führte, aber kaum mehr anstieg.
»Es gibt ihn also doch.«
»Klar, John. Nur haben wir abgekürzt. Wir wären sonst noch länger unterwegs gewesen.«
»Okay, ich verlasse mich auf dich.«
Im Licht des Scheinwerfers tanzte der Staub. Gegen die Karosserie wirbelten die hochgeschleuderten Steine wie die Trommel stocke auf die Instrumente.
Natürlich war ich gespannt, und selbstverständlich beschäftigten sich meine Gedanken mit Suko. Ich kam auf die geheimnisvolle Sira, die in London auf eine so ungewöhnliche Art und Weise verschwunden war, und redete mit Mandra über sie.
»Es tut mir leid, John, aber ich kenne sie leider nicht. Indien ist ein gewaltiges Land. Es steckt voller Rätsel, Geheimnisse und Legenden. In jedem Ort ist etwas Unheimliches passiert. Die Menschen sind oft den Göttern sehr nahe. Ich kenne viele, die nach Vollkommenheit streben und sich auf die alte Traditionen besinnen. Das alles kommt hier zusammen, und es gibt natürlich Gut und Böse, aber das weißt du selbst. Erinnere dich an unsere Kämpfe gegen die Totengöttin Kali.«
»Das werd ich nie vergessen. Eine andere Frage habe ich. Ist ihr Einfluß noch
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