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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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nicht wach war, bekam er es mit der Angst zu tun. Er hatte einmal gehört, dass man einen Schlafwandler umbringen konnte, wenn man versuchte, ihn aufzuwecken, und damals war er jung genug gewesen, um so etwas zu glauben. Er wagte nicht, um Hilfe zu rufen und ebenso wenig, sie allein zu lassen. Und so hatten sie zwei Stunden lang dort auf der Veranda gesessen, bis Wills Vater bemerkte, dass sein Sohn nicht in seinem Bett lag, und sich auf die Suche nach ihm begab. Er fand Zoe und Will auf Zoes Verandaschaukel. Zoe war mittlerweile in Tiefschlaf versunken und ihr Kopf ruhte in Wills Schoß, der reglos und mit großen Augen dort verharrte.
    Der nächste Vorfall ereignete sich vier Jahre später. Will hatte unten ein Geräusch gehört und sich mit einem Baseballschläger bewaffnet die Treppe hinuntergeschlichen. Dort fand er Zoe vor. Sie stand vor dem offenen Kühlschrank, dessen Beleuchtung sie in ein warmes Licht tauchte, und starrte ausdruckslos auf die Packung Rüben, das welke Gemüse, die Hähnchenschenkel, den Eistee, das halb volle Glas Mayonnaise, die Flasche Schokosirup. Will nahm sie bei der Hand und schloss sanft die Tür des Kühlschranks. Dann führte er sie aus dem Haus und die Verandatreppe hinunter. Seine Füße wurden nass vom Tau, als er sie über den Rasen zu ihrem Haus brachte, wo ein völlig aufgebrachter Johnny wartete, dem soeben erst ihr Fehlen aufgefallen war.
    Will hatte daran denken müssen, während er hinter Zoe her durch die dunkle Nacht eilte. Er befürchtete, dass sie sich verletzen könnte. Was, wenn sie von der Klippe hinunterfiel?
    Er verdoppelte sein Tempo. Ein Zweig peitschte ihm ins Gesicht und er hatte einen Stein im Schuh, doch er rannte immer weiter.
    Einen Augenblick später hatte er das Wäldchen hinter sich gelassen und sah Zoe, wie sie sich flink über die weite Wiese fortbewegte, die an das Kliff grenzte. Das ferne Grollen des Meeres schien immer näher zu kommen und klang immer bedrohlicher.
    Sie blieb kurz stehen und richtete ihren ganz nach innen gewandten Blick gen Himmel zum beinahe vollen Mond.
    »Zoe!«
    Sie lief schnell, ihre langen Beine trugen sie geradewegs auf den Abgrund zu. Wills Atem ging schwer. Die Muskeln in seinen Oberschenkeln brannten schmerzhaft, als er die Steigung erklomm. Sie war noch fünf Schritte vom Abgrund entfernt. Drei. Zwei.
    »Zoe!«, brüllte Will und streckte die Hand nach ihr aus. Er bekam sie an ihrem Oberteil zu fassen und zerrte sie nach hinten. Sie grub ihre Fingernägel in sein Gesicht und gab einen schaurigen Schrei von sich. Dann legte sie ihm ihre Finger um den Hals und würgte ihn. Er bekam kaum noch Luft, doch er ließ sie nicht los. Plötzlich fing sie an, mit aller Macht nach ihm zu treten. Will schrie auf und fiel vornüber auf seine Knie. »Wach endlich auf!«, schrie er, als sie wieder nach ihm trat.
    Schlag um Schlag prasselte auf Will nieder – er war entsetzt, welche Kräfte sie entwickelte – und dann knickte plötzlich sein Knie unter ihm weg. Er rutschte ab, suchte mit den Füßen verzweifelt Halt am bröckeligen Felsen. Während eines seiner Beine über dem Abgrund baumelte, versuchte er, sich am Boden festzuhalten, doch seine Hände bekamen nur nackte Erde zu fassen. Er griff nach Zoes Bein, doch ein letzter, fürchterlicher Tritt ließ ihn rückwärts taumeln. »Zoe!«, schrie er, als seine Finger jeglichen Kontakt mit dem steinigen Untergrund verloren.
    Die Wellen unter ihm waren nicht zu sehen, doch er hörte sie. Er kannte die Felsen gut. Haushohe Felsblöcke aus glitschigem, rotem Granit. Zerklüftet wie Haizähne. Und ebenso erbarmungslos.
    Seine Arme schmerzten vor Anstrengung, als er versuchte, sich wieder hochzuziehen. Doch der Boden unter seinen Fingern war zu locker. Und dann stürzte er rücklings ins furchterregende Nichts. Ein Blitz durchzuckte seinen Hinterkopf und dann versanken selbst die Sterne um ihn herum im Dunkeln.
    Und nun blickte er in ein Paar grüne Augen. Asia. Ihr Gesicht zeichnete sich im Licht des zunehmenden Mondes deutlich ab.
    »Was machst …? Wie hast du …?« Er setzte sich auf, erhob sich schwankend, vorsichtig abwartend, was alles schmerzte. Er schloss gequält die Augen. Ihm tat alles weh. Schürfwunden. Aber gebrochen war nichts. Er spürte, wie sich an seinem Hinterkopf eine dicke Beule vorwölbte – er musste sich die Verletzung bei seinem Sturz zugezogen haben. Allerdings befand er sich nicht am Fuß der Felsen. Sondern etwa dreißig Meter davon entfernt, auf dem

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