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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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bewegte sich rückwärts einen Schritt von ihm weg.
    Will fühlte sich, als hätte man ihn in Wasser getaucht, das so warm war wie Blut. Er wollte sich treiben lassen. Wie ein Betrunkener torkelte er zu einer Bank und ließ sich schwerfällig darauf plumpsen. Asia beobachtete ihn, drehte sich dann um und glitt davon.
    Hatte er sie nicht noch etwas fragen wollen?
    Aber was?
    Seine Zunge war schwer, als wäre sie von Algen bedeckt. Nur mit allergrößter Mühe ließ sie sich bewegen. »Was ist dort passiert?«
    Asia blieb stocksteif stehen. Ganz, ganz langsam drehte sie sich zu ihm um. »Was?«
    Der Nebel fing an sich zu lichten. Mit übermenschlicher Anstrengungskraft erhob sich Will von der Bank. »Wie bin ich dorthin gekommen, so weit entfernt von der Stelle, wo ich vom Felsen gefallen bin?«
    Asia schwieg.
    »Was zum Teufel ist los mit dir, Asia? Ich schwöre bei Gott, dass ich dich gesehen habe, wie du während eines Hurrikans ins Meer hineingegangen bist! Und jetzt sieht es ganz danach aus, dass du hier die Felsen hochgeflogen bist, um mich zu retten.« Langsam kehrten seine Kräfte zurück. Er zeigte auf die Narbe in seinem Gesicht. »Siehst du die hier? Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie ich da dran gekommen bin. Die Leute halten mich für verrückt und langsam glaube ich das sogar schon selbst. Ich kann niemanden gebrauchen, der mich noch mehr in den Wahnsinn treibt. Also noch mal, wie kann es sein, dass ich an ganz anderer Stelle aufgekommen bin, als dort, wo ich heruntergefallen bin?«
    Asia sah ihn an und ihrer beider Blicke waren wie ein straff gespanntes Seil, das sie miteinander verband.
    Will hätte schwören können, dass ihre Lippen sich überhaupt nicht bewegten, als sie sagte: »Du kennst die Antwort bereits.«
    Ihm war, als sei er in den Traum eines anderen eingetaucht. Die Grenzen zwischen Realität und Schein verflossen. Er schaffte es nicht, aufzuwachen. Aber er verspürte keine Angst. Vielmehr ein Gefühl von Wärme und angenehmer Schwere. Wie heiße Schokolade an einem kalten Tag oder wie wenn er sich in seinem Bett zusammenrollte und Guernsey sich an ihn schmiegte.
    »Habe ich jetzt völlig den Verstand verloren?« Er konnte die Worte förmlich von sich wegflattern sehen wie Schmetterlinge.
    Asia neigte den Kopf zur Seite und lächelte. Sie blickte in die Luft, so als wollte sie den davonflatternden Wörtern hinterhersehen.
    Sie kam einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen.
    Ihr Duft wehte ihm in die Nase. Zart und süß, wie der Duft von Lilien. Mit einer leichten Seeluftnote. Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken, um sie zu berühren – wollte es so sehr, dass es ihn schmerzte. Doch er war unfähig, sich zu bewegen. Wie ein Seepferdchen, das sich an einer Stelle festkrallt und dessen einzige Bewegung die der Strömung ist, die es sacht hin und her treibt.
    Asia trat so nah an ihn heran, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Sie hob einen Finger und berührte damit seine Oberlippe, die leicht zu prickeln begann.
    Habe ich den Verstand verloren?, fragte sich Will.
    Erst jetzt, wo sie so dicht vor ihm stand, sah er, wie blass ihre Haut war. Zarte blaue Venen zogen sich spinnennetzartig über ihre Stirn. Und diese Augen – so große Augen hatte er noch nie gesehen. Als gehörten sie zu einem Höhlenwesen, das sich im Dunkeln gut zurechtfand.
    Ist es so?, dachte er wieder.
    »Du hast nicht den Verstand verloren, Will«, flüsterte sie ihm zu.
    Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging davon.
    Will blieb wie benebelt zurück. Was war bloß mit diesem Mädchen los? Da war dieser kurze Moment der Nähe zwischen ihnen beiden gewesen und dann hatte sie sich so unvermittelt wieder verschlossen wie eine Muschel. Will überlegte, ob seine Gefühle für sie leidenschaftlicher Natur waren. Allerdings war es dann eine Leidenschaft, die seine Sinne nicht schärfte, sondern ihm vielmehr den Verstand vernebelte und ihn schrecklich träge machte, fast wie betäubt. Es hatte auch nichts mit Lust zu tun. Sie war wunderschön und er fühlte sich zu ihr hingezogen, wollte sie berühren. Mehr als alles andere jedoch wollte er verstehen, was in ihr vorging.
    Doch je mehr er sich vorwagte, desto mehr entzog sie sich ihm.
    Stück für Stück fühlte er, wie er seine Kräfte zurückerlangte. Erst konnte er seine Hände wieder spüren, dann die Beine. Er schüttelte den Kopf, dann den ganzen Körper, so wie Guernsey es tat, wenn sie aus dem Bach neben dem Haus kam. Nun wagte er einen Schritt

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