Sirenenfluch
vorwärts. Dann noch einen.
Rasch lief er zum Ende der Straße, doch er hatte Asia aus den Augen verloren. Sie war ihm entwischt wie eine kleine Elritze.
Allerdings war er sich ziemlich sicher, dass sie zum Strand gelaufen war.
Wie damals, als ich sie über die Felsen habe klettern sehen, dachte Will und der bloße Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie ausgesehen hatte – den Kopf gesenkt, Arme und Beine weit von sich gestreckt wie eine Spinne. Er wusste genau, er würde ihr wieder nachlaufen. Wenn er tatsächlich am Durchdrehen war, dann wollte er Gewissheit. Und wenn Asia die Verrückte von ihnen beiden war, erst recht.
Will musste es einfach wissen. Er zog sein Handy aus der Hosentasche. Große Bitte – brauche Infos über Asia Marin, textete er. Angus wusste bestens Bescheid, wer hier welchen Dreck am Stecken hatte. Wenn überhaupt jemand etwas über Asia in Erfahrung bringen konnte, dann war es jemand von den Gazette -Leuten.
Einen Augenblick später kam schon Angus’ Antwort. Poa Kä?
Will seufzte. Es war wirklich kein Wunder, dass Angus im letzten Jahr fast durch die Spanisch-Prüfung gerasselt war. Ist wichtig.
; - ) lautete Angus’ Antwort.
Okay, also hat er nicht weiter drüber nachgedacht, überlegte Will. Auch gut. Dann muss ich mir darüber nicht auch noch den Kopf zerbrechen. Er steckte das Handy zurück in die Tasche und eilte die Straße hinunter. Nach einigen Schritten verfiel er in einen gleichmäßigen Trott.
Als er die Lichter der Restaurants und Geschäfte hinter sich gelassen hatte, war es mit einem Mal stockfinster. Als ob er eine Dunkelkammer betreten hätte. Ebenso abrupt endete auch der Gehweg und Will lief am Straßenrand weiter. Dort hatten sich Kiesel und größere Steine angesammelt, zwischen denen einzelne Grashalme hervorlugten. Er bog nochmals ab und da sah er sie.
Asia lief immer weiter, die schwächer werdenden Lichter der Stadt in ihrem Rücken. Die schwarzen Gliedmaßen gigantischer Bäume ragten in den Himmel wie Riesen, die sie im nächsten Augenblick vom Boden pflücken und lebendig verspeisen würden. Hier standen die Häuser dichter an der Straße, doch Asia lief unbeirrt an ihnen vorbei. Sie lief die nächste Straße bis zum Ende, dann noch zwei und weitere achthundert Meter. Schon befand sie sich auf einer kurvigen Straße, von der Will wusste, dass sie zum Strand hinunterführte. Alle paar Meter erhellte das einsame Licht einer Straßenlaterne die dunkle Nacht.
Auch hier waren die Häuser von hohen Hecken umgeben, die so nah am Strand und dem salzigen Meer erstaunlich gut gediehen. An einer Einfahrt blieb Asia stehen und lugte um die grüne Mauer. Dann drehte sie sich um und betrat das Grundstück. Will folgte ihr bis zur Ecke, wagte sich jedoch nicht weiter vor, obgleich weder irgendwelche Fahrzeuge noch Personen zu sehen waren. Das Haus lag im Dunkeln, sodass er sie kaum sehen konnte, während sie die Stufen zur Eingangstür hinaufstieg. An der Tür hielt sie kurz inne und drehte sich um – ein geisterhafter Schatten. Beinahe meinte er, ihre grünen Augen aufleuchten zu sehen, da legte sie ihre Hand auf den Türgriff und betrat das dunkle Gebäude.
Will blieb eine ganze Weile dort stehen und beobachtete das Haus, doch kein einziges Licht ging an. Schließlich drehte er sich um. Ein kleines, geschmackvoll gestaltetes Schild am Ende der Einfahrt verkündete, dass dies das Grundstück der Familie Joyce sei.
Will starrte das Schild an. Hieß Asia nicht Marin mit Nachnamen?
Er war ihr nachgelaufen, weil er sich davon einige Hinweise erhofft hatte, doch stattdessen schien die ganze Sache immer mysteriöser zu werden.
Kapitel 8
Aus der Shelter Bay Gazette
Polizeiprotokoll: Auto demoliert
3:24 Uhr: Die Polizei wurde zu einem Anwesen am White Oak Drive 94 gerufen, um ein Auto zu untersuchen, das offenbar blindem Vandalismus zum Opfer gefallen ist. Motorhaube und Seiten des weißen Lexus wiesen deutliche Kratzer im Lack auf, die Scheiben waren eingeschlagen, die Reifen zerstochen.
Trotz mehrerer konkreter Anhaltspunkte seitens der Behörden konnte bisher niemand belangt werden …
Zoe pustete in ihren Becher und sog das schwere Kaffeearoma tief ein. Sie hatte noch etwas Zimt hinzugefügt und der Duft ließ sie an Weihnachten denken. An jene Weihnachten, als ihre Mom noch bei ihnen gewohnt hatte. Zoe trank nicht oft Kaffee. Nur morgens, wenn sie am Abend zuvor nicht hatte einschlafen
Weitere Kostenlose Bücher