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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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unterschiedlichen Zeitaltern. Wie Dinosaurier und Vögel – entfernt verwandt, jedoch ohne größere Ähnlichkeit.
    Der größte Ansturm für diesen Abend war vorbei und die Gäste beendeten nach und nach ihre Mahlzeiten, wischten sich mit ihren Servietten über die Münder und baten um die Rechnung. Will beobachtete Asia beim Abwischen der Tische, Auffüllen der Zuckerstreuer und Sortieren des Bestecks. Beim Wischen plauderte sie mit dem Koch und dieser anderen Kellnerin – Lisette hieß sie, hatte Zoe ihm erzählt. Will konnte sehen, wie sich ihre erdbeerroten Lippen beim Reden bewegten, und hätte viel dafür gegeben, zu hören, was sie sagte. Der Inhalt interessierte ihn dabei gar nicht so sehr, doch hätte er ihr am liebsten jedes einzelne Wort von den Lippen geklaut, um es in einem Glas sicher zu verwahren, so wie man es mit Glühwürmchen tat.
    Dann, endlich!, band sie ihre Schürze los. Sie winkte den anderen zum Abschied und kam dann zur Tür heraus.
    Als Will aufstand, waren seine Beine schon ganz steif vom langen Sitzen. Er wartete ab, bis sie am Ende der Straße angekommen war und lief ihr dann hinterher. »Hey«, rief er ihr zu. »Hallo!«
    Da sie sich nicht umdrehte, fing er an zu laufen. Er hatte eine geschlagene Dreiviertelstunde lang gewartet, bis ihre Schicht endlich vorbei war, und nun wollte er auf keinen Fall die Chance verpassen, sich einmal in Ruhe mit ihr zu unterhalten.
    Sie glitt zwischen den Touristen hindurch wie die flinken Elritzen, die Will als kleiner Junge vergeblich zu fangen versucht hatte. Sie waren ihm immer durch die Finger geflutscht, um sofort wieder im trüben Wasser des kleinen Bachs neben seinem Haus zu verschwinden.
    Will beschleunigte seinen Gang. »Hey!«, rief er, als sie um die Ecke bog.
    Diese Straße war nicht sehr belebt. Dicht belaubte Bäume ragten vor den Reihen roter Backsteinbauten und Holzhäuser mit zugewachsenen Fensterläden auf. Am Ende der Straße befand sich ein winziges Restaurant, das erst am nächsten Tag wieder öffnete.
    Will rannte. Fast schon hatte er sie eingeholt – er war so nah dran, dass er sie um ein Haar hätte berühren können. Er streckte eine Hand nach ihr aus Da drehte sie sich zu ihm um.
    Er wäre beinahe in sie hineingerannt – vom eigenen Schwung mitgerissen. Mit aller Macht stemmte er die Beine in den Boden, doch sein Körper bewegte sich einfach weiter vorwärts. Dann machte er eine jähe, ruckartige Bewegung – wie eine Marionette oder ein Hund, der von seinem Herrchen an der Leine nach hinten gezerrt wird.
    Er stützte sich mit den Händen auf den Knien auf und atmete schwer. »Hi«, sagte er und blickte zu ihr hoch.
    Asia sah ihn reglos aus ihren kalten grünen Augen an.
    Schließlich richtete sich Will auf. »Also …«, setzte er an.
    Asia zog fragend eine Augenbraue hoch.
    »Also – was sollte das alles?«, platzte es unvermittelt aus ihm heraus.
    Asia blinzelte nur. Abgesehen davon zeigte sie keine Regung.
    »Gestern Nacht? Halloho?« Er fuchtelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, als wolle er sie aus einer Trance aufwecken. »Ich komme wieder zu mir, da stehst du über mich gebeugt und siehst mich an. Und anstatt tot auf irgendeinem Felsen zu liegen, bin ich fünfzehn Meter entfernt von der Stelle, wo ich eigentlich hätte aufkommen müssen.«
    »Soll das jetzt etwa ein Dankeschön sein?«
    »Also bist du tatsächlich dort gewesen!« Er hätte nicht erwartet, dass sie es so schnell zugab.
    »Wo genau?«
    »Jetzt versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen. Du – du hast irgendwas gemacht. Wie aus dem Nichts bist du da aufgetaucht.«
    »Welchem Menschen sollte das bitte möglich sein?«
    »Sag du es mir.«
    »Keinem.« Sie wandte sich ab.
    »Nein«, sagte Will und packte sie am Arm. »Autsch!« Er schüttelte seine Hand – die Finger fühlten sich taub an.
    Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihm wütend ins Gesicht. »Nimm dich in Acht«, sagte sie mit leiser Stimme. Da war etwas in ihrem Tonfall, in der Art, wie sie es gesagt hatte. Will wusste es selbst nicht. Er wusste nur, dass die Welt mit einem Mal nicht mehr dieselbe war. Die Wut, die soeben noch durch seinen Körper pulsiert war, ebbte nun langsam ab und er fühlte sich kraftlos und wackelig auf den Beinen. Er ließ Asia los.
    »Ich bin dir nichts schuldig«, sprach Asia in demselben leisen Tonfall weiter. Es klang beinahe wie ein Lied, doch Will konnte keine Melodie ausmachen.
    Er wiederholte es. »Du bist mir nichts schuldig.«
    »So ist es.«
    Sie

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