Sirenenfluch
rennst hier herum wie ein Zombie.«
»Na, vielen Dank«, entgegnete Zoe. Ihr Körper fühlte sich zu schwer an und ihr Verstand war zu träge, als dass ihr eine schlagfertigere Antwort eingefallen wäre.
»Jetzt halt aber mal die Luft an, Angel!«, rief Lisette vom anderen Ende des Diners.
Zoe schnappte sich ihren Kaffee und nahm noch einen Schluck. Asia stand ein paar Meter weiter und war gerade dabei, das Besteck einzusortieren. Sie grinste nur, als Angel aufgebracht vor sich hin grummelte. »Wieso kommt sie eigentlich immer damit durch?«, sagte Zoe, halb zu sich selbst.
»Lisette?« Asia sah von ihrer Arbeit auf. »Du meinst, warum Angel sich ihre Sticheleien gefallen lässt?«
»Ja, würde eine von uns so mit ihm reden, wäre er total sauer.«
Asia zuckte belustigt mit den Schultern. »Er ist in sie verliebt.«
»Er ist was? Ach du grüne Neune, und ich dachte, die beiden würden sich regelrecht hassen!«
Asia kicherte. »Nein, sie wollen nächstes Jahr heiraten.«
»Wahnsinn – das hätte ich nie gedacht!« Zoe warf einen Blick in Richtung des finster dreinblickenden Angel, der wie ein Gefangener hinter seiner Glasscheibe stand und das Waffeleisen mit bösen Blicken bedachte. »Woher weißt du das überhaupt?«
»Ab und zu erzählen mir die Leute ein wenig von sich.«
»Ladys, ich bin dann mal in der Pause.« Lisette zog ihre Schürze aus und stopfte sie in ein Fach unter dem Tresen. »Soll ich jemandem was vom Conrad’s mitbringen?«
»Hol mir ’ne Packung von diesen Kaugummis, die du immer hast.« Das kam von Angel.
»Hatte ich dich gefragt? Bis gleich, alle zusammen.« Lisette warf ihnen ein Kusshändchen zu und verschwand durch den Hinterausgang.
Zoe war das Lächeln aufgefallen, das Lisette und Angel sich zugeworfen hatten. Wie viele solcher Blicke hatte sie wohl verpasst?
Sie trank noch einen Schluck Eiskaffee und griff gleichzeitig nach ihrem Notizheft. Ein Blatt Papier fiel heraus und flatterte zu Boden. Asia bückte sich, um es aufzuheben. »Gute Neuigkeiten?«, fragte sie, als sie es Zoe mit der beschriebenen Seite nach unten überreichte.
Unsicher hob Zoe eine Schulter. »Ach, es ist bloß – ein Brief von meiner Mutter.«
Die sauberen Löffel schlugen mit einem metallischen Geräusch aneinander, als Asia sie in den Besteckkasten fallen ließ, ohne mit Zoe zu sprechen oder auch nur zu ihr aufzusehen.
»Sie möchte, dass ich zu ihr ziehe … nach Paris.«
Asia nickte und griff nach den Messern. »Und, wirst du dorthin gehen?«
»Ich … ich weiß es nicht.« Zoe legte das Blatt wieder zwischen die Seiten ihres Hefts.
Asia nickte wieder. »Es geht nicht darum, sich für den einen oder anderen Ort zu entscheiden, hab ich recht?« Ihre Blicke trafen sich.
»Meine Mutter und ich hatten nie ein besonders enges Verhältnis«, gestand Zoe. »Sie ist …« Zoe schüttelte den Kopf, unsicher, wie sie Yvonne beschreiben sollte. »Sie ist nicht meine leibliche Mutter.«
»Ist das so sehr von Belang?«, fragte Asia.
»Rein theoretisch nicht. Mein Vater ist schließlich auch nicht mein leiblicher Vater und trotzdem stehen wir uns sehr nahe. Aber ich glaube, sie hat mich nie so richtig als ihre Tochter angesehen. Für sie war ich immer nur diese … Person.«
Asia dachte darüber nach. »Andererseits gäbe dir das Zusammenleben mit ihr doch auch die Gelegenheit, sie kennenzulernen.«
»Oder es würde mich um den Verstand bringen«, konterte Zoe. »Und meinem Dad würde es vermutlich das Herz brechen.«
»Hört sich ganz so an, als wolltest du nicht gehen«, schlussfolgerte Asia.
»Eigentlich nicht, nein.«
»Aber dennoch trägst du diesen Brief mit dir herum.«
Zoe stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich fürchte, ich weiß genauso wenig, ob ich hierbleiben möchte.« Sie hatte einen Kloß im Hals.
Asia legte Zoe ihre Hand auf den Arm. »Die Erinnerungen werden dich einholen«, sagte sie. Ihre Stimme war weich und auf eine gewisse Art tröstlich, auch wenn ihre Worte verstörend waren. Die Erinnerungen werden mich einholen, dachte Zoe, und augenblicklich befand sie sich wieder am Strand. Überall war Feuer.
Es war mitten in der Nacht und das Segel von Tims Boot stand in Flammen. Will lag bewusstlos im Sand und Zoe saß in ihren triefnassen Kleidern zitternd daneben. Sie konnte sich nicht erklären, wie sie dorthin gekommen war. Noch, wie das Segel in Brand geraten war. Sie wusste nur, dass sie von einer schrecklichen Angst erfüllt war. Sie vergewisserte sich, dass Will noch
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