Sirup: Roman (German Edition)
Hungerkünstler dahintersteckt oder eine Agentur, die jemand beauftragt hat, dann kannst du mir nicht sagen, ob es sich um Kunst handelt oder nicht.«
»O doch, ich glaub schon, daß ich das könnte«, sagt Tina.
6 tritt ungeduldig von einem Fuß auf den andern. »Mein Gott, wen interessiert denn schon die Intention? Entscheidend ist das Ergebnis .«
»Aber die Intention läßt sich vom Ergebnis nicht trennen«, sagt Tina. »Natürlich wollt ihr das nicht wahrhaben. Trotzdem ist es so.«
»Und du willst nicht wahrhaben, daß nichts auf unserem Planeten so viel künstlerische Energie freisetzt wie die Produktvermarktung. Wer gestaltet denn die Verpackungen, wer schreibt die Werbetexte und wer macht die Fernsehwerbung – willst du mir vielleicht weismachen, daß das alles keine Kunst ist?«
»Wenn du den Unterschied nicht siehst, kann ich dir auch nicht helfen.«
»Ach so«, sagt 6, »du meinst also, daß die dichterischen Ergüsse irgendeines Schreiberlings, den keiner liest, wichtiger sind als ein Film, den die halbe Welt bejubelt? Zufälligerweise haben nur viel mehr Leute eine Coke als einen van Gogh gesehen.«
»Ihr Wirtschaftsleute macht immer denselben Fehler«, sagt Tina. »Ihr könnt Popularität nicht von Qualität unterscheiden.«
»Immerhin leben wir in einer demokratischen Gesellschaft, Tina«, sagt 6. »Deine Qualitätsmaßstäbe sind nicht gültiger als meine. Popularität ist Qualität. Und die Leute aus der Marketingbranche sind die Künstler von heute.«
»Noch jemand was zu trinken?« sage ich.
6 hält sich bedeckt
Die meisten Leute – einschließlich Cindy – verabschieden sich um Mitternacht, doch einige bleiben bis gegen eins. Ein paar hängen sogar bis zwei herum, als Tina sich mit James in ihr Schlafgemach begibt, und einige ganz unangenehme Zeitgenossen verdrücken sich erst um drei Uhr früh, als ich ihnen zeige, wo die Tür ist.
6 schaut sich währenddessen Clueless an, den Tina aufgenommen hat. Ich weiß nicht recht, was ich absurder finden soll: daß Tina so was auf Video aufnimmt oder daß 6 es sich anschaut. »So«, sage ich. »Sieht so aus, als ob wir allein wären…«
6 hält eine Reaktion für überflüssig. Alicia Silverstone sagt: »Und wenn schon.«
»So«, sage ich abermals und lasse mich vorsichtig neben 6 auf das Sofa sinken. »Scheint so, als ob wir allein wären.«
6s Stirn zeigt erste Anzeichen einer Umwölkung, und sie starrt weiterhin auf den Bildschirm. Ich finde das irgendwie verwirrend, beiße mir auf die Unterlippe und rücke ein bißchen näher an sie heran. Auf 6s Stirn sind jetzt vermehrt Symptome einer Irritation erkennbar, doch damit muß ich wohl leben.
Ich weiß nicht recht, ob sie mir absichtlich die kalte Schulter zeigt oder tatsächlich dermaßen von dem Film gefesselt ist. Ich bin etwas unschlüssig, doch dann denke ich, daß ich’s ja einfach mal versuchen kann.
Und das tue ich auch.
ein geraubter kuß
Ich neige mich geschwind in ihre Richtung, doch sie reagiert blitzschnell. Als ich mich schon mit kußbereitem Mund auf ihre Wange stürzen will, fährt sie herum, verpaßt mir mitten im Anflug ein paar Watschen und nimmt mich in den Schwitzkasten.
» Verdammte Scheiße!« schreie ich und versuche meinen Kopf aus ihrer feindlichen Umklammerung zu befreien. Dann springe ich mit brennend heißen Wangen vom Sofa auf. » Verdammt noch mal! Was soll das jetzt wieder?«
6 steht vom Sofa auf, die Augen ein schwarzes Inferno. Ihre Stimme hat einen mörderisch leisen Klang. »Was fällt dir ein?«
»Ich will dich küssen ! Was fällt dir ein?«
»Damit eins klar ist«, sagt 6. »Egal, was heute nachmittag bei Coke passiert ist, ich bin nicht dein kleines Frauchen.«
Ich glotze sie blöde an. »Nicht mein kleines…?«
»Anscheinend denkst du, daß die Sache zwischen uns klar ist», sagt 6 fast verwundert. »Du meinst offenbar, daß wir wegen des Vorfalls bei Coke schon verlobt sind. Doch da täuschst du dich ganz gewaltig. Verstanden?«
»6, ich wollte dich doch nur küssen .« Ich reibe mir die Wangen. » Du hast mich schon zweimal geküßt.«
»Und – was schließen wir daraus?«
»Daraus schließen wir, daß allein du bestimmst, wo’s langgeht.« 6 macht große Augen. »Am liebsten würdest du mich wie einen Hund an der Leine führen. Und wenn ich dann…«
»Das ist doch totaler Quatsch«, sagt 6.
»Nein, das ist überhaupt kein Quatsch«, sage ich schmollend.
»Eines solltest du nie vergessen, Scat«, sagt 6 und kommt ein
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