SISSI - Die Vampirjägerin
spitze Turm des Stephansdoms ragte zwischen ihnen empor. Von den anderen Ballons klangen Lieder und aufgeregte, freudige Rufe zu Franz-Josef herüber. Die Ballonfahrer schienen kaum glauben zu können, wie genau sie ihr Ziel anvisiert hatten.
Aus den Augenwinkeln sah Franz-Josef, wie Sissi die Spielkarten zur Seite legte und aufstand. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, die Jacke, die sie unter der Decke um ihre Schultern trug, war durchnässt. Sie rang um jeden Schritt.
Sie kämpft so hart, dachte Franz-Josef. Woher nimmt sie nur diese Kraft?
Sein Blick kehrte zu der Stadt unter dem Ballon zurück. Er konnte jetzt den Platz vor dem Dom sehen. Tausende standen dort im Licht der Gaslaternen, zeigten auf die Ballons und winkten. Ein Banner mit der Aufschrift: Ein kaiserliches Willkommen in Wien!, hing vor dem Dom. Dessen Türen standen offen. Orgelmusik mischte sich in den Jubel des Volkes. Soldaten standen vor dem Eingang Spalier. Kutschen bildeten eine Schlange, die über den Platz bis in die Seitenstraßen reichte.
Es sind alle gekommen, dachte Franz-Josef entsetzt. Sie flogen bereits so niedrig, dass er die Gesichter der Menschen unter ihm erkennen konnte. Weniger als hundert Meter trennte sie noch vom Boden.
Die anderen Ballons wurden langsamer, man warf Seile über Bord, die in der Luft hinter ihnen hergezogen wurden. Helfer am Boden liefen darauf zu und warteten, dass die Ballons so tief gingen, dass man sie zu fassen bekam.
Nur aus Alfons’ Ballon wurde kein Seil geworfen.
Die ersten Ballonfahrer bemerkten das, begannen zu rufen und zu winken.
Franz-Josef sah nach unten. Irgendwo durch die Straßen, die zum Dom führten, musste Seine Eminenz laufen, schneller als jeder Mensch, verborgen im Körper eines anderen.
Wer bist du heute? Wieder ein wilder Vampir? Wissen sie eigentlich, was du ihnen antust?
Im gleichen Moment sah er die nackte, ausgemergelte Gestalt, die unter ihm durch die Gasse rannte. Die Menschen, die ihn bemerkten, drückten sich gegen die Wand, glaubten wohl, einem Geisteskranken begegnet zu sein.
Erlaubst du mir, dich zu sehen? Fragte Franz-Josef. Bist du dir so sicher, dass ich nichts mehr tun kann?
Du könntest vieles tun, aber du wirst es nicht. Die Stimme kratzte und knisterte in seinen Gedanken – ein Geräusch, so unangenehm, dass Franz-Josef wünschte, es nie wieder zu hören.
Sissi schrie.
Er fuhr herum und sah sie neben einem der noch brennenden Feuer stehen. In einer Hand hielt sie eine glühende Kohle. Ihr Gesicht war verzerrt.
»Franz-Josef!«, schrie sie. »Hilf mir!«
Der Schmerz hat sie befreit. Mein Gott …
Sie ließ die Kohle fallen, Rauch stieg von ihrer geschwärzten Handfläche auf. Trotzdem griff sie mit beiden Händen nach Seilen und Werkzeug und warf alles über Bord.
Seine Eminenz verschwand plötzlich aus seinem Geist. Franz-Josef sah, wie der wilde Vampir in der Gasse stehen blieb und nach oben blickte.
Sissi schrie, als sie von einer unsichtbaren Kraft zu Boden geworfen wurde. Franz-Josef wollte ihr helfen, wollte den kurzen Moment der Freiheit nutzen, um sie vor Seiner Eminenz zu bewahren, doch dann erkannte er, dass es nur eines gab, was er zu tun hatte.
Er hatte zu sterben.
Franz-Josef sprang aus dem Ballon.
Der Sturz schien nicht enden zu wollen. Er sah Seine Eminenz unter sich, blickte in Augen, die seine Seele zerstören konnten, und schloss die Lider.
Der Aufprall zerschmetterte seinen Körper.
KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG
Meine Zeilen dürften dem Leser gezeigt haben, dass es innerhalb der Organisation, die man als Kinder Echnatons bezeichnet, mehrere Gruppierungen gibt. So unterscheidet man zwischen den sogenannten Lämmern, Anhängern einer friedlichen Koexistenz, und den Wölfen, die sich geschworen haben, ihre Waffen erst niederzulegen, wenn der letzte Vampir von unserer Welt getilgt wurde. Dass ich mich der zweiten Gruppierung verbunden fühle, dürfte den Leser nicht wundern, und doch glaube ich, dass meine Überzeugungen der Objektivität meines Werkes nicht geschadet haben.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
»Franz!«
Sissi beobachtete, wie er über die Reling sprang, und schrie. Nur Sekunden später verschwand die Macht, die sie zu Boden gedrückt hatte. Erschöpft blieb Sissi liegen. Ihre Hand pochte im Rhythmus ihres Herzschlags.
Hinter ihr standen die beiden Männer auf. Rudi betrachtete die Karten in seiner Hand, als wisse er nicht, wie sie dort hingekommen waren.
Alfons kratzte sich am Kopf. »Dat
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