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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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an, damit der Angreiferin zu drohen, als Dorota Ogórkowa mit einem Tablett voll kleiner gefüllter Wodkagläser zurückkam, nach denen jeder, der konnte, dankbar die Hand ausstreckte.
    Frau Dutt, die mit dem einsatzbereiten Latschen in der Hand auf einem Bein hüpfte, verlor auf einmal das Gleichgewicht und kippte vornüber wie ein getroffener Elefant. Sofort riss sich Frau Nagelfeilchen los, um der Gefallenen zu Hilfe zu eilen, was diese offenbar als Einladung zum Ringkampf verstand, denn sie packte Frau Nagelfeilchen an den langen Haaren und riss sie mit sich zu Boden. Die Umstehenden glotzten einander an, bevor sie sich mit empörtem Geschrei auf die beiden Streithennen stürzten.
    Der kleine Stalin indessen brüllte unbemerkt gegen die Meute an. Weil ihm jedoch niemand Gehör schenkte, marschierte er mit geballten Fäusten auf die Wand zu und verpasste ihr einen wütenden Tritt. Sofort war ein Loch darin, aus dem Glaswolle quoll. »Zuckerwatte!!!«, rief ein Kind und fing an, bauschweise die giftige Glaswolle aus dem Loch zu ziehen.
    Plötzlich erschall von draußen ein lauter Knall, wie aus einem Gewehr. Schlagartig verstummten alle. In der bangen Erwartung, dass etwas Schreckliches geschehen war, begaben wir uns in den Flur. Aus der offenen Eingangstür stieg wie aus einer Erdspalte Rauch auf. Während er sich verflüchtigte, wurden die Umrisse einer finsteren Gestalt erkennbar. Die Frau, die hüstelnd aus der Rauchwolke trat, war Oma Greta.

21.
Gretas Kommando
    Oma klopfte sich den Staub vom Pelz und zog sich mit ihrem Puderspiegel in der Hand die roten Lippen nach. Ihr finaler Doppelschmatzer klang wie das Entsichern einer Waffe. In kniehohen Lederstiefeln trat sie über die Schwelle und marschierte mit kleinen, festen Schritten auf den Flur. Sie ließ den Blick tadelnd über Wandflecken, zerzauste Kinderköpfe und dreckige Türklinken gleiten, während ihre Brauen sich zu einem V zusammenzogen. Ich sah zu meiner Mutter. Ihre Brust hob und senkte sich immer schneller, was verriet, dass sie sich in ihrem schlimmsten Alptraum wähnte.
    »Was ist denn das für ein burdel hier?«, höhnte Oma. Dieses Kindern verbotene Wort benutzte sie nur, wo beleidigende Unordnung herrschte. In Ermangelung einer Antwort stürzte Mama sich schluchzend in Omas Arme.
    »O Mutter, was für ein Wunder! Wir haben überhaupt nicht mit dir gerechnet.«
    In diesem Moment trat Herr Banane mit zwei prallen Koffern in die Baracke. Herr Banane, der jeden Monat nach Polen fuhr und dessen Auto an Fehlzündungen litt, die gelegentlich für beunruhigende Knalle und dunkle Rauchschwaden sorgten, musste Oma auf seiner Rückreise mitgenommen haben. Nachdem auch mein Vater Oma mit drei Luftküssen begrüßt hatte, eilte er dem gebrechlichen Herrn entgegen, um ihm die Koffer abzunehmen.
    »Ist das alles?«, fragte er an Oma gewandt.
    »Blödsinn, das ist nur die Wurst«, entgegnete sie amüsiert. »Mach doch nicht so eine Hektik, Paweł. Wo sind meine Enkelkinder?« Nun lief auch ich mit offenen Armen auf Oma zu, die mich sogleich lachend packte, mit ihrer Bärenkraft hochhob und an ihren Filzmantel drückte, wo die tote Fuchsschnauze ihrer Stola sich glasäugig in den eigenen Schwanz biss.
    »Sehen wir uns heute noch?«, fragte Herr Banane, der demütig zu Oma aufblickte.
    »In meinem Alptraum vielleicht«, hörte ich Oma in ihren Fuchs nuscheln. »Aber sicher«, antwortete sie laut. »Du bringst mir doch hoffentlich noch den Rest vom Gepäck.« Und während Herr Banane gehorsam davonhumpelte, geleiteten wir Oma Greta in unser bescheidenes Zuhause.
    »Wir haben gar nicht mit dir gerechnet, Mutter!«, keuchte Mama, während sie mit zittriger Hand das Zimmer aufschloss.
    »Du wiederholst dich, nun beruhige dich doch«, sagte Oma mit geringschätzigem Halblächeln. Oma betrat das Zimmer und sah sich ausgiebig darin um.
    »Fein habt ihr es hier nicht gerade«, stellte sie fest und ließ sich auf den Sperrmüllstuhl fallen. Tomek, der während der Krisensitzung schon geschlummert hatte, erwachte von unserem Gepolter. Als er Oma in ihrem tierischen Aufzug erblickte, begann er aus Leibeskräften zu schreien. Gemäß dem unter furchtsamen Kindern weit verbreiteten Irrglauben, dass man Monster durch Wegschauen verschwinden lassen kann, zog er sich die Decke über den Kopf und igelte sich bibbernd darunter ein.
    »O weh. Er erinnert sich nicht an mich«, seufzte Oma, »aber das haben wir gleich.« Endlich nahm sie die Fuchsstola von den Schultern und

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