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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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steckte zunächst eine Pfote unter der Decke hindurch, die sie nach Tomeks Händchen tasten ließ. Sie zog den Fuchs ein Stück zurück und erkannte am Widerstand, dass Tomek nach der Pfote gegriffen hatte und sie fest umklammert hielt. Nun brachte Oma den Fuchs zum Sprechen, indem sie den Unterkiefer, der an einer Art Spange befestigt war, auf- und zuschnappen ließ und dazu mit dünnem Stimmchen sprach: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Peter-Paulus hat geschrieben. Einen Brief. Nach Paris. Ob der Kaffee fertig ist.« Ein Kichern unter der Decke verriet, dass Tomek die Stimme erkannt hatte. Es dauerte nicht lange, bis er sich von seiner Oma aus der Decke herauskitzeln ließ.
    Als Herr Banane und Papa das restliche Gepäck in die Baracke gewuchtet hatten, fing Oma an auszupacken. Wie ein Zauberer zog sie Wurstketten aus dem Koffer, die kein Ende zu nehmen schienen: dünne Frankfurter, geräucherte Krakauer sowie krupnioki , die schlesischen Graupenwürste. Dabei erzählte sie uns, wie es zu ihrer Deutschlandreise gekommen war. Es hatte sich herausgestellt, dass Herr Banane, den wir vor Weihnachten beauftragt hatten, Oma Greta mit Geschenkpaketen zu beliefern, eine Bekanntschaft aus ihren Jugendjahren war. Er hatte sich einst tagein, tagaus vor Omas Fenster herumgedrückt, um nur einen einzigen verächtlichen Blick von ihr zu erhaschen. Als er dann neulich vor Omas Türe gestanden hatte und gewahr wurde, dass er seine unerreichte Jugendliebe vor sich hatte, versprach er, ihr immer zu Diensten zu sein. Und weil Oma verwitwet war und Herr Banane alleinstehend und Oma, seit Mops ihr endgültig entlaufen war, jemand fehlte, auf dem sie herumtreten konnte, beschloss sie, die Bekanntschaft mit einem Gläschen Fussel-Kaffee aufzufrischen. So hatte es sich ergeben, dass Herr Banane ihr spontan angeboten hatte, sie zu ihrer Familie nach Deutschland zu bringen. Da er frei herausgeplappert hatte, welche katastrophalen Zustände in der Baracke herrschten, musste Oma nicht lange überlegen.
    »Mach dir keine Sorgen um die Bezahlung, Mutter«, sagte Papa. »Wir erstatten ihm natürlich die Benzinkosten.«
    Oma machte ein überraschtes Gesicht.
    »Spinnst du? Dieser nervigen Plaudertasche würd ich nicht mal einen vertrockneten Wurstzipfel geben. Der sollte besser mich dafür bezahlen, dass ich ihn 16 Stunden lang ertragen habe, ohne ihm eins überzubraten.«
    Mama und Papa sahen Oma schockiert an, aber sie störte sich nicht daran. Nachdem sie uns auch alles über die Veränderungen in Polen berichtet hatte, wovon die wichtigste zu sein schien, dass es beim Metzger endlich wieder Fleisch gab, »wie vor dem Krieg«, durften wir endlich schlafen gehen. Oma bekam ihr eigenes Bett, weil Tomek und ich uns ab jetzt eine Matratze teilen würden. In der Nacht, als Oma in vertrauter Weise die Zehen knacken ließ, beschlich mich die wohlige Ahnung, dass sich nun alles zum Besseren wenden würde.
    Am nächsten Morgen wurde ich vom rasselnden Geräusch energisch aufgerissener Vorhänge geweckt. Oma stand in ihren Putzpantoletten auf dem Tisch und ließ Tageslicht ins Zimmer strömen. Um ihren Kopf hatte sie einen prächtigen Turban geschlungen. Weil Putzen für Oma eine Bühnenkunst war, hatte sie nie irgendwelche Mühen gescheut, sich dafür besonders herzurichten. Mit dem dekorativen Haarkringel, der aus dem Turban schaute, sah sie aus wie die Stummfilmdiva Pola Negri.
    »Ich bin bereit!«, sagte sie entschlossen und stieg elegant vom Tisch.
    »Mutter, du kannst doch nicht an deinem ersten Tag bei uns putzen!«, jammerte Mama.
    »Ach was«, winkte Oma ab. »Ruhe im Karton! Hier herrsche nun ich.« Mit den Absätzen klackend machte sie sich sofort auf den Weg ins Bad, um die Eimer zu füllen. Resigniert seufzend schloss Mama die Tür und setzte sich zu mir aufs Bett.
    »Papa ist zur Telefonzelle gegangen und versucht, den roten Opel zu bekommen«, flüsterte sie mir zu. »Lass dir bloß nichts anmerken, falls wir heute Nachmittag einen Ausflug machen sollten, ja? Tu so, als würde das Auto uns gehören.«
    Ich nickte. Dann sorgte ich mich. Es war ganz einfach gewesen, sich den Wagen für zwei Stunden auszuleihen, aber ob der Bekannte von Frau Ogórkowa ihn für einen ganzen Tag hergeben würde? Außerdem wusste noch niemand, wie lange Oma bei uns zu bleiben gedachte.
    Seit den Mittagsstunden war die Baracke von Zitronenduft erfüllt und von Frühlingslicht durchflutet. Draußen ergötzten sich die Vögel an der blühenden

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