Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
zwei weitere Tempel (A und O). Auch sie wurden in dorischer Ordnung aufgeführt, entsprachen aber nun der Richtung des sogenannten Strengen Stils.
Die religiöse Bauaktivität in Selinus erschöpfte sich keineswegs in dem großen Temenos auf der Akropolis. Auch den östlichen Hügel, vom Siedlungskern durch einen Flusslauf getrennt, bekrönten drei große Tempel. Der nördlichste und bei weitem größte von ihnen, der dorische Tempel G, wurde um 550 v. Chr. begonnen, aber womöglich nie vollendet. Seine kolossalen Abmessungen (110 × 50 m, acht auf 17 Säulen mit einer Höhe von je über 16 m) kündeten weithin von Reichtum und Macht der griechischen Kolonie. Kleiner, aber immer noch monumental genug, sind die beiden südlich angrenzenden Heiligtümer: die Tempel F (errichtet um die Mitte des 6. Jh. mit 65 × 27,4m und sechs auf 14 Säulen mit einer Höhe von über 9 m) und E (entstanden in der ersten Hälfte des 6. Jh. und 70 × 27m messend, mit sechs auf 15, je 10m hoch aufragenden Säulen).
Auch auf dem heute Gaggera genannten Westhügel befand sich ein Heiliger Bezirk. Seine Anfänge gingen auf das 7. Jh. zurück, aber die Errichtung des noch sichtbaren großen Pronaostempels fiel ins 6. Jh. Den Sakralbezirk umgab ein Mauerring, der im 5. Jh. einen monumentalen Eingangsbau erhielt. Im näheren |46| Umkreis dieses Temenos befanden sich noch weitere Kultbauten, die teilweise erst in der punischen Siedlungsphase ihren Höhepunkt erreichten. Innerhalb eines runden Jahrhunderts errichteten die Bewohner von Selinus nicht weniger als acht große Kultbauten. Das religiöse Baufieber vermittelt eine Ahnung nicht nur von den Ressourcen, die der Stadt zur Verfügung standen, sondern auch vom Geltungsdrang ihrer Bewohner, die – stets im Konkurrenzkampf mit anderen großen Städten des griechischen Westens – die Nachbarn, allen voran das rivalisierende Akragas, auszustechen suchten. Einen lebendigen Eindruck vom technischen Aufwand, der hier getrieben wurde, geben die
Rocche
oder
Cave di Cusa
, ein Steinbruch knapp 10 km nordwestlich von Selinunt: Hier sind Bauteile wie Kapitelle und Säulentrommeln zu bewundern, die beim Hauen aus dem Fels beschädigt und daher an Ort und Stelle gelassen wurden.
Tempel E in Selinunt (Selinus).
|47| Himera
Kolonisten aus Zankle, Syrakus und dem euboischen Chalkis gründeten 648 v. Chr. im mittleren Abschnitt der sizilischen Nordküste die Stadt Himera. Die Kontingente wurden von drei Gründern angeführt: Eukleides, Simos und Sakon. Mit Himera hatte die griechische Besiedlung Siziliens ihren nordwestlichen Schlusspunkt erreicht. Die Stadt stand seit dem 6. Jh. im Schatten der mächtigen Konkurrentin Akragas, die – 70 Jahre nach Himera gegründet – unter ihrem Tyrannen Theron in Westsizilien ehrgeizige Expansionsziele verfolgte und Himera schließlich eroberte (483). Der aus Himera exilierte Tyrann Terillos lief geradewegs in die Arme der Karthager, mit deren Hilfe er seine Stadt zurückzuerobern gedachte. Himera wurde so zur Stätte einer Schlacht, die bald im kollektiven Bewusstsein der Griechen neben Marathon und Salamis stand, den Orten griechischer Siege über die Perser: Die Karthager unter ihrem Feldherrn Hamilkar erlitten eine schmachvolle Niederlage gegen die Koalition Akragas– Syrakus (480 v. Chr.).
Gegründet hatten die Siedler ihre Stadt am Ufer des Flusses Himeras, unweit der Küste. Die Stadt verfügte über ein fruchtbares alluviales Hinterland; sie selbst lag auf zwei Ebenen auf einem Plateau, dem heutigen Piano d’Imera, und in der nördlich angrenzenden Ebene. In der mit einer eigenen Stadtmauer versehenen Oberstadt auf dem Plateau haben sich einfache Wohnbauten aus dem 7. Jh. v. Chr. erhalten: Sie waren über einem Sockel aus Stein aus ungebrannten Ziegeln errichtet; die Dächer waren mit Stroh gedeckt. Im Nordosten des Plateaus befand sich ein großer Kultbezirk der Stadtgöttin Athena, der auf das späte 7. Jh. zurückgeht und später, im 6. Jh., als großer Tempel ohne Säulenkranz erneuert wurde. Im 5. Jh. wurde der Komplex durch weitere kleine Kultbauten erweitert.
Die Unterstadt war von der Siedlung auf dem Plateau räumlich getrennt und scheint auch eine Bevölkerung beherbergt zu haben, deren wirtschaftliche Aktivitäten sich deutlich von denen der Oberstadtbewohner unterschieden. Während in den Häusern der Hügelsiedlung hauptsächlich recht wohlhabende Grundbesitzer gewohnt haben dürften, die ihr Einkommen aus der Landwirtschaft schöpften,
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