Skagboys 01
sie sich nun wieder auf ihren Erzfeind – das Patriarchat. Wie immer hat sie Seeker und Swanney als ihre Hauptgegner auf dem Kieker. »Warum dürfen die überhaupt an dieser Gruppe teilnehmen, wo sie doch Dealer sind? Sie verdienen Geld damit, die Sucht anderer Leute zu unterstützen!« Sie schaut zu Tom. »Ähm, sorry, ich meine natürlich die ›Substanzabhängigkeit anderer Leute‹. Das verstehe ich einfach nicht. Wie kann das sein?«
Die Angesprochenen lehnen sich gleichgültig zurück und genießen Mollys Verärgerung. Ich selbst bin ein wenig genervt von ihrer ständigen Kritik an unseren Kollegen auf der Lieferantenseite. Wo wären wir denn ohne sie? Ein beängstigender Gedanke! Skag, Skag, Skag – wie sehr wir es doch lieben, dieses pure, weiße Pulver, für das wir gern bei Johnny unsere letzten Scheine auf den Tisch packen. Er nannte es China-Weiß, dabei hatte der Stoff nicht das Geringste mit Asien zu tun. Es war ein offenes Geheimnis, dass das Zeug aus der Heimat stammte. Für mich war es Liebe auf den ersten Schuss. Die Trauung erfolgte dann spätestens nach der ersten Folienpfeife. Aye, ich liebe mein Skag. Eigentlich sollte das Leben immer so sein, wie es einem vorkommt, wenn man drauf ist. »Vielleicht ist es aber auch so, dass wir alle die Abhängigkeit anderer unterstützen – jeder auf seine eigene Art und Weise«, sinniere ich und krieg sofort einen Schreck, wie sehr sich das nach Tom anhört.
Dann meldet sich der Chef persönlich zum Thema: »Liegt das denn aber nicht in der Natur dieser Krankheit?«
»Es ist keine Krankheit.«
»Okay, ein Zustand …«, er zeichnet mit den Fingern zwei Anführungsstriche in die Luft, »… wenn ihr euch damit besser fühlt.« In der Runde trifft sein Blick nur auf eine Reihe gleichgültiger Nenn-es-verdammt-noch-mal-wie-du-willst-Visagen. »Wir arbeiten hier nicht auf Grundlage eines ausschließlich medizinisch ausgerichteten Suchtmodells …« Tom bemerkt seinen Fauxpas und rudert schnell zurück: »Ähm, ›Substanzabhängigkeitsmodell‹ meine ich natürlich.« Triumphierend wippe ich in meinem Stuhl vor und zurück, als ein empörtes Raunen im Stadion erklingt.
Was meinen Sie, Brian, ein solcher Ausnahmeprofi wie der junge Curzon wird sich selbst ganz sicherlich mehr über diesen erzwungenen Fehler ärgern als alle anwesenden Zuschauer zusammen, nicht wahr?
Einzelgespräch: Hab mich beschissen gefühlt und nichts von Belang gesagt. Tom fragte mich über meine Beziehungen. Ich fühlte mich zu unbehaglich, um über meine Familie, Fiona oder Hazel zu reden. Also quatschte ich von Charlene und beschrieb sie als »die Liebe meines Lebens«. Er schien nicht sonderlich schockiert, als ich ihm erklärte, dass sie eine professionelle Ladendiebin ist.
»Was hast du an ihr geliebt?«
»Ihre Haare. Die waren unglaublich, eine richtige Naturgewalt. Sie hatte aber auch einen geilen Arsch und so.«
»Und in Bezug auf ihren Charakter, was mochtest du da?«
»Ich mochte ihre Professionalität. Sie konnte problemlos einen Ladendetektiv ausmachen. Die Typen waren meist männlich, zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahre alt und sahen im Grunde aus wie Amateur-Ladendiebe. Während sie so taten, als würden sie irgendwelche Produkte anschauen, starrten sie unverhohlen andere Kunden an, beurteilten ihre Kleidung, suchten ihre Gesichter ab und beobachteten ihre Hände. Es reichte, sich gut zu kleiden, um bei achtzig Prozent dieser Typen als unverdächtig aus dem Raster zu fallen. Alle konzentrierten sich auf Jugendliche in Trainingsanzügen und Kerle mit Klamotten der beliebten Asselmarken. Das Adidas-Logo zum Beispiel ließ ihre Alarmglocken läuten. Aus Charlenes Klautasche guckte immer ein Badmintonschläger heraus. Dadurch wurde sie als eine sportliche und aktive Person wahrgenommen. Wenn sie auf Klautour ging, trug sie stets tolles Make-up, wodurch sie in den Augen der Ladendetektive sofort die soziale Leiter hinaufkletterte: von einem einfachen Mädchen aus einem Dorf an der Themsemündung direkt in die Kategorie ›Young Conservative‹. Von meinen Klamotten war sie allerdings nie sonderlich begeistert. ›Du siehst aus wie ein Junkie-Ladendieb, Mark‹, meinte sie.«
Ich konnte sehen, wie die Muskeln in Toms Gesicht erschlafften und seine Züge an Spannung verloren.
Journal-Eintrag: Über meinen Zustand
Mir ist bewusst, dass ich mir aus irgendeinem schwer nachvollziehbaren – aber auch bei vielen anderen Leuten verbreiteten – Grund diese
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