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Skagboys 01

Skagboys 01

Titel: Skagboys 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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starre, verkacke ich erneut den Knoten und reiße mir zum zehn ten Mal den abgewetzten schwarzen Binder vom Hals. — Scheiße, verdammte!
    Sick Boy taucht hinter mir auf und bietet seine Hilfe an. Er kriegt den Knoten beim ersten Mal hin. — Schon fertig, gurrt er, was mich erst so richtig runterzieht. — Du solltest was frühstücken.
    Was essen? In dieser Müllhalde von einer Küche? Nein danke. — Ich ess was bei meiner Ma. Außerdem haben wir nix hier.
    — Klar haben wir was. Ich hab Lasagne gemacht. Er zeigt auf den Backofen.
    — Das Zeug schmeckt widerlich. Hab’s gestern Abend probiert. Das habe ich wirklich: Nachdem das kleine Feierabend-Bier mit meinen Gillsland-Kollegen zu einer Sauf-Session ausgeufert ist, hatte ich richtig Kohldampf.
    Sick Boy stemmt die Hände in die Hüften. — Das ist ein Rezept von meiner Mama, du Großfresse, plustert er sich pseudo-empört auf. Er hält den Ball aber flach. Wahrscheinlich will er meine angespannten Nerven nicht noch zusätzlich strapazieren.
    — Ich hab die Lasagne von deiner Ma gekostet, und dieser Scheiß da im Ofen hat nichts damit zu tun. Wenn du ein Rezept von ihr hattest, hast du dich ganz offensichtlich null dran gehalten. Kann mir nämlich nich vorstellen, dass deine Ma Thunfischbrocken in ihre Lasagne mischt.
    — Ich war kreativ und hab die verfügbaren Ressourcen ge nutzt. Du geh erst mal wieder zum Co-op einkaufen! Dann kannst du meine kulinarischen Fähigkeiten kritisieren.
    Was für ein dreister Arsch! Dazu fällt mir nur ein Wort ein: Miete . Aber ich will verdammt sein, wenn ich jetzt anfange, mit dem Wichser über Kohle zu diskutieren. — Okay, ich muss los, sage ich und schnapp mir meine Jacke, die an einem Nagel an der Tür hängt.
    — Gut, wir sehen uns um zwei am Friedhof, erwidert Sick Boy. Dann macht er plötzlich einen Schritt nach vorn und umarmt mich. — Bist du okay?
    — Klar bin ich okay, du Spinner, antworte ich.
    Er lockert seine Umarmung, lässt seine Hände aber auf meinen Schultern ruhen. — Irgendwann wird es dich packen. Die Trauer, verstehste?, erklärt er und zieht eine seiner Hände zurück. — Spiel nur weiter den stoischen Schotten, wenn es dir Spaß bringt. Ich kann dir nur raten, es wie die Italiener zu machen. Die wissen nämlich, wie man trauert: Öffne dich, Mann! Fühl den brennenden Schmerz in dir. Lass es raus. Er gibt mir mit der flachen Hand ein paar sanfte Klapse auf die Wange.
    — Aye, sicher doch, antworte ich und bin im nächsten Moment schon durch die Tür.
    Ich gucke kurz auf die Uhr und marschiere dann den Walk hoch. Die Sonne scheint, aber nur bis Höhe Pilrig Street, wo ein paar dreckige Riesenwolken den Himmel bedecken. Als ich an der Junction Street ankomme, fängt es an zu schütten, aber ich entkomme dem Sommerregen gerade noch einmal.
    Ma und Dad wirken wie Zombies. Und zwar wirklich: glasige Augen, starrer Blick, und andauernd rempeln sie irgendwas oder irgendwen an. Ich kann’s irgendwie kaum fassen, dass sie immer noch derart geschockt sind von dem Tod einer Person, deren baldiges Ableben ihnen unmittelbar nach der Geburt vorhergesagt wurde, und zwar von so ziemlich jedem Facharzt dieses Landes. Ich meine, was bitte schön ist an der Formulierung »kurze Lebenserwartung« so schwer zu verstehen? Haben sie vielleicht gehofft, dass sie Klein Davie ewiges Leben schenken würden, indem sie ihm andauernd diesen zähflüssigen Schleim aus den Lungen klopfen?
    Jetzt müssen sie nicht mehr angespannt auf seine Atmung achten, müssen keine allnächtlichen Abklopf-Marathons und Lagerungsdrainagen mehr absolvieren, nach denen Klein Davie stets völlig erschöpft in tiefen Schlaf gesunken ist, während seine rasselnden Lungen sich wieder mit Luft füllten und der Rest der Familie Renton nervös und angsterfüllt auf den nächsten Hustenanfall wartete. Das alles ist nun Geschichte. Warum setzt da nicht eine Art Erleichterung bei ihnen ein?
    Es ist vorbei. Ein für alle Mal vorbei.
    Die beiden halten sich so verkrampft an den Arbeitsplatten fest, dass ihre Fingerknöchel weiß werden. Es scheint fast so, als würden sie für alle Ewigkeit in der engen und düsteren Küche verharren wollen. Ich gehe in die helle Wohnstube. Die Luft ist dick vom Zigarettenqualm, denn Billy und seine Freundin zünden sich eine Kippe nach der anderen an. Jetzt, wo Klein Davie nicht mehr da ist, müssen sie sich nicht mehr ans offene Schlafzimmerfenster setzen und den Qualm nach draußen blasen. Endlich können sie

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