Skagboys 01
Banana Flats ankomme, um die Witwe abzuholen, sitzt sie tief in Gedanken versunken vor einem riesigen Glas mit billigem Rotwein und scheint schon einiges intus zu haben. Sieht fast so aus, als würde sie sich durch die Sauferei näher bei Coke fühlen. Ihr Gesicht ist hager, und ihr Federschnitt könnte auch mal wieder die Pflege eines Profis gebrauchen. Ihre Augen sind trübe und starren apathisch durch alles und jeden hindurch. Zu einer abgewetzten grauen Trainingshose trägt sie ein gelbes T-Shirt mit so einem draufgeflockten Plastikaufdruck: »I had the Full House at Caister Sands«, steht in fetten Buchstaben über ein paar Bingo-Nummern.
Es ist nur allzu verständlich, dass Janey mies drauf ist. Die Beamtenbrut Großbritanniens hat sich im Fall Anderson einmal mehr in ihrer traditionellen Paradedisziplin, dem Verarschen der kleinen Leute, übertroffen. Die beteiligten Institutionen waren sich verdammt schnell einig und haben die von der Familie angestrebte Verurteilung wegen Mord ruckzuck vom Tisch gefegt. Noch nicht mal mehr Totschlag steht zur Debatte. Der Gerichtsmediziner hat schwere, durch einen Sturz hervorgerufene Schädelverletzungen als wahrscheinliche Todesursache in seinem Bericht vermerkt. Die Verletzungen in Cokes Gesicht wurden großzügig übersehen, sein Alkoholspiegel dafür in den Vordergrund gerückt. Somit wird Dickhead Dickson nur noch wegen schwerer Körperverletzung angeklagt. Im Falle einer Verurteilung bedeutet das eine maximale Haftstrafe von zwei Jahren, von denen er allerdings nur eins absitzen müsste.
Nach einem recht unmotivierten Zug von ihrer Zigarette knallt mir Janey eine erschütternde Nachricht vor den Latz: Sie hat Maria und Grant vorübergehend zu ihrem Bruder nach Nottingham verschifft. — Die Kinder sind völlig am Boden. Grant ist in einer Art Schockzustand und Maria vollkommen durchgedreht. Hat dauernd davon gefaselt, dass sie Dickson umbringen will. Ich musste die beiden einfach eine Weile von hier fortbringen.
Verdammt! Dieses kleine süße Ding war bereits in Simons Visier, und nun hat mir diese bescheuerte alte Hexe tatsächlich die Tour vermasselt …
— Ich kann Maria nur allzu gut verstehen, sage ich und bin richtig geplättet von der Nachricht. Mit einem Mal habe ich das Gefühl, dass sich eine riesige Wunde in meiner Brust auftut.
— Kommst du nächste Woche mit mir zum Gerichtstermin?, fleht mich Janey mit großen, erwartungsvollen Augen an.
Einspruch! Die Verteidigung versucht, den Zeugen emotional zu beeinflussen!
Einspruch abgelehnt.
— Natürlich komme ich mit.
Janey befürchtet, dass man ihr Cokes Rente streicht. Deshalb wollen wir heute mit Benny sprechen, dem älteren und anständigen Sohn meiner Großeltern väterlicherseits. Als gestandener Gewerkschafter hat er Ahnung von solchen Sachen.
Janey verschwindet im Schlafzimmer und kommt kurz darauf völlig verwandelt wieder zurück: Ihre Gesichtszüge vom Make-up hervorgehoben, trägt sie nun ein gold-schwarzes Kleid mit schwarzen Nylons drunter. Ich denke mal, dass es Strumpfhosen sind, stell sie mir aber lieber als halterlose Strümpfe vor. Ihr Look hat eine verheerende Wirkung auf mich, und ich kann kaum glauben, dass ich beim Anblick dieses alten Pavians derart geil werde! Als wir runter zum Leith Docker’s Club marschieren – der mit seiner Mischung aus viktorianischem Architekturstil und Siebzigerjahre-Fertigbauweise symbolisch für die gesamte Gegend steht –, habe ich fast das Gefühl, zu einem Date zu gehen.
Wenn man meinem Vater das widerwärtige Gaunerwesen und den schmierigen Charakter an jeder Haarspitze anmerkt, ist es bei seinem Bruder Benny genau umgekehrt. Er sieht fünfzehn Jahre jünger aus, als er in Wirklichkeit ist, trinkt nichts Härteres als Edinburgher Leitungswasser und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, andere Leute in Rechtsfragen zu unterstützen. Und diese Aufgabe nimmt er verdammt ernst. — Mein herzliches Beileid, Kleine, begrüßt er Janey. Bei ein paar Pints Tennent’s Lager für uns und H 2 O für ihn fasst er die Situation zusammen: Offensichtlich ist in den Statuten der Forth Port Authority (Cokes ehemaliger Arbeitgeber) festgelegt, dass sämtliche Rentenzahlungen nach dem Tod des Anspruchsberechtigten erneut überprüft und nicht automatisch auf den nächsten Verwandten oder die finanziell von ihm abhängigen Personen übertragen werden. Diese Regelung trat erst kürzlich in Kraft und passt wunderbar zur Thatcher-Maxime von »Kostensenkung um
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