Skalpell Nr. 5
Ihnen?«
»Ich hab ihn nach Hause geschickt.«
»Dann komme ich zu Ihnen.«
Die Aussicht war verlockend. »Warum?«
»Ich will nicht, dass Sie allein sind. Sie stehen unter Schock. Wenn der nachlässt, könnte das heftige Symptome auslösen.«
»Den Schock hab ich überwunden. Ehrlich. Ich war panisch. Jetzt bin ich nicht mehr panisch. Ich bin stinksauer und koche vor Wut.«
»Dann kommen Sie morgen früh in mein Büro.«
»Warum?«
»Ich möchte, dass Sie mir alles noch mal genau erzählen. Damit Sie auch ganz bestimmt nichts auslassen.« Er zögerte. »Und ich möchte Sie wiedersehen. Mich vergewissern, dass es Ihnen wirklich gut geht.«
Fürsorge. Wärme füllte sie aus wie Helium. »Sagen Sie den letzten Teil noch mal.«
»Ich will mich vergewissern, dass es Ihnen wirklich gut geht.«
»Nein. Das davor.«
»Ich möchte Sie wiedersehen.«
Ja!
Sie kontrollierte das Türschloss, ließ sich ein Bad einlaufen, kontrollierte erneut das Türschloss und aalte sich im warmen Wasser, bis die Anspannung in ihrem Körper nachließ und sie wieder normal atmen konnte. In einem Kaschmirtrainingsanzug – erstaunt merkte sie, dass es ihr egal war, wie sie aussah – ging sie mit Mycroft Gassi, fütterte ihn, als sie wieder zu Hause waren, und ging, da sie selbst keinen Hunger hatte, gleich ins Bett.
Das Telefon klingelte. Soll es doch. Es klingelte weiter. »Schon gut«, knurrte sie und griff zum Hörer.
»Ich habe beschlossen, die Sache fallen zu lassen.« Eine undeutliche Stimme. Patrice.
»Wie bitte?«
»Ich lass die Sache fallen, Ms. Manfreda. Ich hab noch mal drüber nachgedacht, und ich will nicht weitermachen.«
Wer hat sie unter Druck gesetzt? »Wieso denn das? Wir haben schon die ersten Schritte eingeleitet, haben eine richterliche Anordnung erwirkt, dass die Skelette aufbewahrt werden müssen.« Okay, okay, die Knochen sind verschwunden. Aber wir finden sie bestimmt wieder. »Wir sind auf dem besten Wege, nach all den Jahren herauszufinden, wie Ihr Vater gestorben ist.«
»Es tut mir leid. Ich –«
»Lassen Sie mich wenigstens zu Ihnen nach New Jersey kommen und mit Ihnen und Ihrer Tochter reden.«
»Das ist es ja gerade. Meine Tochter will etwas aus ihrem Leben machen. Sie ist die Beste in ihrer Klasse. Das darf ich nicht aufs Spiel setzen.«
»Wieso sollte es denn Ihrer Tochter schaden, wenn der Tod Ihres Vaters untersucht wird?«
Patrice antwortete nicht.
Sie hat Angst. »Ist irgendwas passiert? Sie müssen es mir sagen.«
Ein Flüstern. »Sie hätten nicht nach Turner fahren sollen.«
Mein Gott! »Woher wissen Sie, dass ich da war?«
Schweigen. Dann: »Ich möchte nicht darüber reden.«
»Sie müssen. Das ist wichtig – Ihrem Vater zuliebe.«
»Mein Vater ist für mich seit vierzig Jahren tot. Meine Tochter lebt jetzt. Ich möchte, dass das so bleibt. Lassen Sie die Vergangenheit zusammen mit ihm ruhen.«
»Irgendwer hat Sie bedroht, hab ich recht?«
Stille.
»Ich kann einen Privatdetektiv engagieren, der Ihre Tochter und Sie beschützt, bis wir die Polizei dazu bringen –«
»Keine Polizei! Wenn der Mann wieder anruft, werde ich ihm sagen, dass ich die Sache nicht weiterverfolge. Ich bin fertig mit Ihnen und meinem Vater. Ich danke Ihnen, Ms. Manfreda, aber bitte versuchen Sie nie wieder, Kontakt zu mir aufzunehmen.«
Jake schlief auf der Couch in seinem Büro, und wenn er wach wurde, was in regelmäßigen Abständen geschah, dachte er an Manny. Dass sie nicht anrief, war entweder gut oder schlecht, gut, wenn sie tatsächlich schlief, schlecht, wenn sie noch immer Angst hatte, ihn aber nicht stören wollte. Oder wenn ihr noch Schlimmeres zugestoßen war, ein Gedanke, den er sofort verdrängte, indem er sich auf Pete konzentrierte.
Was war so wichtig, dass Menschen heute, Generationen später, dafür töteten? Die vier Skelette waren verschwunden. Was würden sie ihm verraten, falls sie wieder auftauchten? Mrs. Alessis’ Leiche war eingeäschert, aber immerhin hatte Jake noch die Leberproben und somit den Beweis, dass sie vergiftet worden war. Jetzt brauchte er einen positiven Beweis, dass auch Pete Opfer eines Mordes geworden war – die Art von Beweis, die einen Staatsanwalt davon überzeugen würde, den Fall anzunehmen.
Am Morgen rief er Elizabeth auf ihrem Handy an. Ihm graute vor dem Gespräch – es war das Schlimmste seiner Laufbahn, dabei machte sein Beruf viele schwierige Gespräche notwendig.
»Ich bin’s, Jake.«
»Hallo! Ich hab mich noch gar nicht dafür
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