Skalpell Nr. 5
Heizung in Jakes Dienstwagen funktionierte nicht, wie so vieles andere, was der Stadt gehörte, und als Jake jetzt neben dem Grab stand, wünschte er sich, die Sonne würde schneller aufgehen. Er hatte einen Exhumierungsbeschluss erwirkt und den Friedhofsdirektor um Mitternacht aus dem Bett geklingelt, ihm eine Kopie zugefaxt und die Exhumierung für sechs Uhr morgens angesetzt.
Seine Kleidung, Jeans, ein Paar alte Turnschuhe, ein Polohemd und eine leichte Jacke, bot unzureichenden Schutz gegen die morgendliche Kühle, war aber perfekt für eine Exhumierung.
Er sah auf die Uhr: 6.32. Die Totengräber waren immer noch nicht da.
Um diese frühe Stunde war der Friedhof still und ruhig – sogar schön, wie er zugeben musste. Die aufgehende Sonne schimmerte auf den Buntglasfenstern der Mausoleen, kunstvolle Denkmäler für die Reichen und Mächtigen vergangener Tage, und überhauchte die schlichteren Grabsteine mit herrlichen Farbschattierungen. Auf dem Friedhof gab es Grabstätten noch aus dem späten achtzehnten Jahrhundert. Er hatte sich unaufhaltsam in alle Richtungen ausgedehnt, eine Entwicklung, die sich erst seit den 1990er-Jahren verlangsamte, nachdem die katholische Kirche die Einäscherung gestattet hatte. Als Jake in der Gerichtsmedizin angefangen hatte, waren noch fast alle Leichen beerdigt worden, inzwischen wurde ein Drittel verbrannt.
Jake hatte gerade sein Handy gezückt, um nachzufragen, wo die Totengräber blieben, als er sie kommen hörte. Petes Beerdigung lag erst eine Woche zurück, daher würde ihre Arbeit nicht sonderlich anstrengend werden. Jake machte Fotos von der Grabstätte und dem flachen, vorläufigen Grabstein mit der Aufschrift: PETER JOSEPH HARRIGAN, 1933-2005.
Der Schaufelbagger kam mit Schrittgeschwindigkeit über den Friedhofsweg auf ihn zugekrochen. Jake hob grüßend die Hand, als die beiden Arbeiter aus dem Führerhaus stiegen. Sie trugen Jeans und Arbeitsschuhe. Einer war groß und dünn, mit schulterlangem blondem Haar und Schnurrbart; der andere war rundlich und hatte schütteres schwarzes Haar. Sie stellten sich ihm als Boris und Ned vor.
»So was machen wir nicht so oft«, sagte der Große, Boris. »Jedenfalls nicht auf Anordnung der Gerichtsmedizin.«
»Manchmal wollen Leute ihre Angehörigen auf einen anderen Friedhof verlegen, und dann buddeln wir sie aus«, fügte Ned hinzu. Er nippte an einem Becher Starbucks-Kaffee.
»Ein Bekannter von mir arbeitet in Jersey«, sagte Boris und lehnte sich gegen den Reifen des Schaufelbaggers. »Der hat mal einen Sarg rausgeholt, da lagen zwei Leichen drin – zwei.«
Ned zuckte die Achseln. »Joe Bonanno, der Mafiaboss, dem ein Bestattungsunternehmen gehörte, hat seine Opfer verschwinden lassen, indem er ihre Leichen zu anderen in den Sarg gelegt und beerdigt hat – übereinander.«
»Bei meinem Bekannten«, sagte Boris, »hat der Bestatter einfach nur die trauernden Familien übers Ohr gehauen.«
»Hochinteressant«, sagte Jake. »Aber könnten wir wohl langsam anfangen?«
Der Schaufelbagger schabte über die Erde und hob die Schicht ordentlichen Rasens ab, der erst eine Woche zuvor gelegt worden war. Kaum zehn Minuten später lag der Deckel der Zementwanne frei, die den Sarg enthielt. Boris sprang in das Loch, hakte Ketten in vier Ringe, die in den Deckel eingelassen waren, und lockerte mit einer Brechstange die Epoxidversiegelung. Dann kletterte er wieder heraus und gab Ned ein Zeichen. Der legte einen Hebel um, der Arm des Baggers hob sich, Ketten zerrten an der Zementplatte. Wieder versuchte Boris, die Versiegelung zu lösen, bis sich der Deckel schließlich hob und neben dem Grab auf dem Rasen eines unterirdischen Nachbarn abgelegt wurde. Das war der Grund, warum Exhumierungen immer so früh morgens durchgeführt wurden, wie Jake wusste: Da war es noch unwahrscheinlich, dass irgendein Angehöriger eines Bestatteten auftauchte.
Boris befestigte eine Schlinge am Baggerarm, mit der der Sarg aus der Zementwanne gehoben und neben das Loch gestellt wurde. Jake trat vor.
»Kein Wassereintritt«, sagte er. »Gut.« Er sprang in das Grab und schaufelte Erde in kleine Behälter.
Ned glotzte ihn an. »Was machen Sie denn da?«
»Ich nehme ein paar Bodenproben. Sechs Behälter: alle vier Seiten, oben, unten. Das ist so üblich. Man will sichergehen, dass die Leiche keine Stoffe aus dem Grundwasser aufgenommen hat.«
»Was denn für Stoffe?«
»Arsen, beispielsweise. Es sind schon Leute fälschlich des Mordes angeklagt
Weitere Kostenlose Bücher