Skalpell Nr. 5
auf ihrem Handy an und sagte, dass er sich um eine halbe Stunde verspäten würde und sie doch bitte vor seinem Haus auf ihn warten solle. Ihre begeisterte Einwilligung war die einzige angenehme Überraschung, die der Tag ihm bislang beschert hatte.
Sie war nicht mehr da, als er eintraf. Mist. Er sah auf die Uhr. Na schön, fünfundvierzig Minuten zu spät. Aber wenn sie ihn wirklich hätte sehen wollen, dann hätte sie gewartet.
Er stieß die Haustür auf. Irgendwer hantierte in der Küche herum.
»Manny?«, rief er freudig. »Was treiben Sie da?«
Jake hörte trappelnde Pfoten auf dem Dielenboden. Ein roter Hund in Designer-Hundeklamotten kam durch die Diele geschlingert und sprang bis in Kniehöhe an ihm hoch. Manny reckte den Kopf aus der Küche.
»Warum ist er hier?«, fragte Jake, während er Mycroft den Kopf zerzauste. »Und was machen Sie da überhaupt?«
»Sie haben mich zum Abendessen eingeladen, schon vergessen?«
»Stimmt, aber was machen Sie in meiner Küche?«
»Kochen.«
Hinter ihr tauchte Sam auf, einen grünen Streifen auf der Wange. »Ein Glück, dass ich zufällig vorbeigekommen bin. Sie saß vor deiner Haustür. Philomena macht uns Abendessen«, erklärte er.
»Sie kocht?«, fragte Jake.
»Sie ist die reinste Künstlerin.«
»Nicht bei mir zu Hause«, sagte Manny. »Ich koche nur in den Wohnungen anderer Leute.«
Jake betrachtete die beiden aus zusammengekniffenen Augen. Noch nie hatte er Manny so entspannt gesehen. »Ich bin nicht in Stimmung für so was. Ich hab die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens.«
»Wein«, sagte Manny.
»Aspirin«, sagte Sam.
Jake entschied sich für Wein. Manny verschwand in die Küche und kam mit drei Gläsern und einer Flasche zurück. »Heute Morgen hab ich meiner Mutter erzählt, wie unmöglich Sie sich benommen haben«, sagte sie zu Jake. »Sie hat gesagt, eine vernünftige Frau würde sich nicht mit einem Mediziner anlegen – einem Doktor! –, der seinen eigenen Freund obduziert hat. Sie meinte, zur Strafe müsste ich Ihnen etwas kochen. Und einen Rosenkranz beten.«
Hab ich Halluzinationen? »Woher wusste sie das mit der Obduktion?«
»Ich hab’s ihr erzählt.«
»Okay, woher wussten Sie’s?«
»Kenneth hat’s mir gesagt. Er war heute im Gericht in Queens. Die Sekretärin von Richter Cookson hat es ihm erzählt.«
»Wer ist Kenneth?«
»Hallo«, sagte eine feminine Stimme, und ein perfekt geschminkter Mann in einem Paillettenkleid mit kurzer Schleppe erschien.
Ich habe Halluzinationen.
»Schon vergessen? Kenneth ist mein Assistent und guter Freund«, sagte Manny. »Er zieht sich so an, weil er in einer Show auftritt und weil es ihm gefällt. Eins habe ich in meinem Beruf inzwischen gelernt: Sekretärinnen tratschen gern und –«
»Du meinst, von Mädel zu Mädel«, unterbrach Kenneth sie. Manny ließ sich nicht beirren.
»– und Kenneth hat Cooksons Sekretärin erzählt, was so über Sie und mich getratscht wird –«
Jake klappte der Unterkiefer runter. »Sie und mich?«
»– und dann hat Cooksons Sekretärin Kenneth von dem Exhumierungsbeschluss erzählt, den die Staatsanwaltschaft auf Ihre Bitte hin erwirkt hat. So einfach ist das.«
Manny sah, dass Jake perplex war. Geschah ihm recht. »Übrigens«, sagte sie, »das mit dem Rosenkranz können Sie vergessen. Ich bin keine praktizierende Katholikin mehr. Aber dafür mache ich Linguine mit Muschelsauce.«
Jake schob mehrere Ausgaben der New York Times von einem Sessel und ließ sich hineinplumpsen.
»Ich hab die Sauce schon probiert«, sagte Sam. »Einfach himmlisch. Zuerst hat sie frischen Knoblauch angedünstet, glatte Petersilie, Süßrahmbutter, Olivenöl und Muschelsaft zugefügt und dann die frischen Venusmuscheln in der Schale hineingegeben.«
Jake starrte ihn finster an. »Ich dachte, du lebst zurzeit koscher.«
Sam zuckte die Achseln und schwang seinen Pferdeschwanz. »Die Zeiten ändern sich.«
»Ich muss jetzt los, Manny«, sagte Kenneth. Er ging zu Jake und streckte ihm die Hand hin. Seine Fingernägel waren länger, röter und besser manikürt als Mannys, bemerkte Jake. »Es war hinreißend. Bis ganz bald.«
»Entzückt«, stammelte Jake und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Als Kenneth gegangen war, servierte Manny die Linguine. Sie aßen im Stehen. Das Essen war fantastisch, wie Jake zugeben musste. Mycroft schien auch dieser Auffassung, während er seine eigene Portion hinunterschlang.
»Was um alles in der Welt hat der Hund da
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