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Skalpell Nr. 5

Skalpell Nr. 5

Titel: Skalpell Nr. 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Baden , Linda Kenney
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Sie merkte, dass er jetzt ihren Blick spürte und verstand.
    Sie musste an eine kleine Begebenheit aus dem Vorjahr denken, nachdem sie Jake für den Terrell-Fall engagiert hatte, um eine zweite Obduktion vorzunehmen. Die Ärztin vor Ort hatte die Röntgenbilder von der Obduktion an den Leuchtkasten geklemmt. Ihre linke Hand hatte die Aufnahme gerade losgelassen, als Jake sie wortlos abnahm, umdrehte und richtig herum wieder hinhängte. Das alles in einer einzigen fließenden Bewegung, unspektakulär, aber überzeugend.
    Irgendetwas in Mannys Stimme veranlasste Jake, von dem Bild aufzublicken, das er gerade in der Hand hielt. Er sah ihr in die Augen, und im nächsten Moment beugte er sich vor und küsste sie auf den Mund. Geschickt und zielstrebig öffnete er die Knöpfe an ihrer Pyjamajacke – die Knöpfe, die Manny so gewissenhaft geschlossen hatte – und begann, ihre Brüste zu liebkosen.
    »Warte!«, sagte Manny und schnappte nach Luft.
    »Was?«
    »Ich hab gesagt, warte.«
    »Warum denn? Wir sind beide volljährig.«
    Das Bild von dem vielen Blut während der Alessis-Obduktion schoss ihr durch den Kopf. »Hast du dir die Hände gewaschen?«
    »Manny!«
    »Okay.«
    Er küsste sie erneut. Sie musste daran denken, wie er Mrs. Alessis’ Herz in den Händen gehalten hatte, wich zurück und leckte sein Ohr in der Hoffnung, dass die Lust ihre Erinnerung tilgen würde. Dann hörte sie das Summen der Säge, die den Schädel durchschnitt, und sah die Wolke aus Knochenstaub um seine Hände und sein Gesicht.
    Die Bewegungen ihrer Hände hatten sich von Lichtgeschwindigkeit zu Schneckentempo verlangsamt. »Manny, was ist denn los?«, fragte Jake.
    »Alles in Ordnung. Lässt du dich regelmäßig auf Krankheiten untersuchen?«
    Er blickte sie an. Sie meinte es ernst. »Jeder, den ich obduziere, wird auf Aids getestet.«
    »Sehr beruhigend«, flötete sie und versuchte, wieder in Stimmung zu kommen. Aber schon wieder sah sie das Bild von der Obduktion vor sich wie eine Halluzination. »Bist du nicht ein bisschen zu alt für mich?«
    »Du wirst nicht mithalten können.«
    Das wollen wir doch mal sehen. »Okay«, flüsterte sie, aber er hörte es nicht mehr.

    Das Klingeln seines Handys weckte sie. Jake sprang aus dem Bett und meldete sich.
    »Hallo? … Hans … Ja, mir geht’s gut … Jetzt? … Brooklyn? … Kannst du mir das nicht am Telefon sagen? … Okay, okay, hab verstanden. Der Diner ist in der Nähe vom Labor … Ich brauche eine Stunde … Bis dann.«
    Er setzte sich neben Manny und küsste sie aufs Haar. Er war ihr in einer Weise dankbar, für die er nie im Leben Worte finden würde. »Was hältst du von einem schönen Frühstück in Brooklyn?«

22

    H ans Galt trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte. Er war ein schmächtiger Mann mit bohrenden Augen hinter der Nickelbrille, hatte ein Gesicht wie ein Frettchen und angegraute schwarze Haare. Er begrüßte Jake mit einem knurrigen Hallo und beäugte Manny argwöhnisch, auch noch nachdem Jake gesagt hatte, er könne ihr jedes Geheimnis anvertrauen. Ehe er sprach, blickte er sich im Raum um; sie waren allein bis auf den Kellner, der ihre Bestellung aufnahm.
    Galt beugte sich zu ihnen vor, einen Finger an den Lippen. »Experimente«, sagte er.
    »Was?«, fragte Manny.
    »Die Radioaktivität«, sagte Jake, und Wut stieg in ihm auf. »Da hat jemand Menschen benutzt?«
    Hans nickte. »Und es geht nicht nur um Radioaktivität. Da hängt noch viel mehr dran. Aber fangen wir mit dem Oberarmknochen an.«
    Jake sah zu Manny hinüber, die mit leicht geöffnetem Mund dasaß und schnell atmete. Offenbar war sie von diesem genialen kleinen Mann fasziniert, der ihn schon bei so vielen Fällen in seine Geheimnisse eingeweiht hatte. Sie ist unglaublich schön. »Okay, leg los.«
    »Du weißt, dass ich für die Atomaufsichtsbehörde gearbeitet habe, die Nuclear Regulatory Commission. Der Oberarmknochen hat eine höhere Strahlungsbelastung als alles, was mir dort je untergekommen ist: Strontium-90. In den Fünfzigerjahren wussten wir bereits, dass es eines der gefährlichsten Karzinogene auf der Erde ist, und das ist es noch immer. Schon eine winzige Menge kann Knochenkrebs hervorrufen, Leukämie und bösartige Bindegewebsveränderungen, sogenannte Sarkome.«
    Letzteres war an Manny gerichtet, vom Lehrer an die Schülerin. »Und der Oberarmknochen?«, fragte sie.
    »Enthält mehr als nur eine winzige Menge. Strontium-90 hat eine Halbwertszeit von neunundzwanzig

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