Skandal um Lady Amelie
Kopfbewegung Lord Elyots, und die Männer zogen sich wieder in ihre Quartiere zurück.
Nicholas ließ sich neben Amelie nieder und ergriff ihre Hand. „Nichts passiert, mein Herz?“, flüsterte er, zwinkerte ihr aber dabei zu.
Mit lachendem Blick entgegnete sie ebenso leise: „Sei nicht so hart mit ihm.“
„Es geht mir mehr um dich. Er wird’s schon überleben.“
„Ich werd’s auch“, flüsterte sie, den Druck seiner Hand erwidernd.
Der Lunch im Freien verlief heiter genug, doch trotz der Ablenkung durch den Ausblick auf die bunten Uniformen, auf vorbeirollende Wagen und die auf den Koppeln grasenden Pferde löste sich die Spannung nicht, die sich nach und nach zwischen Lord Seton und Tamworth aufgebaut hatte. Der gereizte Jüngling bemühte sich noch stärker als zuvor, die Damen zu unterhalten, und zumindest Caterina fand, dass seine Anstrengungen anerkannt werden müssten, wobei sie wünschte, Lord Seton möge sich nur halb so sehr um sie bemühen.
Zu Hampton Court gehörte auch ein Irrgarten, und Tamworth drängte darauf, die Damen hindurchzuführen, offensichtlich aus dem einen Grund, sich vor ihnen hervorzutun. Er behauptete nämlich, niemand finde so schnell wie er bis zur Mitte und wieder zurück.
Den anderen war nicht entgangen, wie lästig es ihm war, dass sie Caterina heute ständig im Auge behielten. Hier in den engen, von hohen Hecken umgebenen Gängen, die plötzlich vor Sackgassen endeten oder auf Quergänge stießen, dauerte es jedoch nicht lange, bis die Gesellschaft trotz aller Anstrengungen getrennt wurde und nur noch durch Zurufe Verbindung hielt.
Amelie war bei Hannah geblieben, sie vermutete Seton in ihrer Nähe und wartete darauf, dass er hinter der nächsten Ecke auftauchte. Zwischen dem Lachen und Rufen der verschiedenen Besucher konnte sie aber weder seine Stimme noch die Caterinas unterscheiden.
„Wo mag Lord Elyot sein?“, fragte Hannah ängstlich. „Ich mag Irrgärten nicht besonders.“
„Lass uns einfach hier warten, er wird uns bestimmt finden“, sagte Amelie beruhigend, dann rief sie: „Caterina, wo bist du?“
Statt einer Antwort vernahm sie die zornige Stimme eines Mannes – zweifellos die Lord Elyots –, gefolgt von einem Ausruf, einem Schrei und dem Geräusch brechender Zweige. Ein Stück voraus fiel ein junger braunhaariger Mann, wütend schimpfend und mit den Armen rudernd, rückwärts durch die Hainbuchenhecke, wurde jedoch von der anderen Seite her halbwegs zurückgehalten.
Hannah erkannte ihren Bruder und lief eilig zu ihm. „Tam … Tam, Lieber! Oh! Bist du verletzt?“
„Zur Hölle mit Ihnen, Sir! Dafür werde ich Sie fordern! Diese Beleidigung! Lassen Sie mich los! Nennen Sie Ihre Sekundanten!“
„Steh auf, du Dummkopf!“, hörte man Lord Seton von der anderen Seite der Hecke. „Gar nichts wirst du tun! Los, nimm meine Hand! Lass dir aufhelfen!“
„Kann alleine aufstehen! Beide werdet ihr meine Reitpeitsche zu spüren bekommen!“
„Und ich werde dafür sorgen, dass dein Vater von deinem Benehmen erfährt“, zischte Lord Elyot. „Es wurde Zeit, dass dir jemand Verstand einbläut. Steh auf oder bleib, wo du bist, Bürschchen, aber auf jeden Fall wirst du dich bei Miss Chester für deine Unverschämtheit entschuldigen.“
Hannah sah dem Ganzen fassungslos zu, rang die Hände und jammerte: „Tam! Tam? Was haben sie dir getan?“
Amelie hielt sie zurück und zog sie fort von den neugierigen Fremden, die nur zögernd an der Gruppe vorbeigingen. Beruhigend legte sie einen Arm um das Mädchen und tröstete: „Es ist doch nichts! Du weißt ja: Männer! Glaub mir, er hat sich nichts gebrochen. Bestimmt hat er nur eine Beule.“ Sie hätte allerdings zu gern gewusst, wofür eigentlich er sich entschuldigen sollte.
Lange mussten sie nicht warten, dann schob sich Caterina, den Tränen nahe, ihr heißes Gesicht mit der Hand verhüllend, zu ihnen durch. Zwar hatte sie sich nichts vorzuwerfen, aber sie erlebte zum ersten Mal die unangenehme Situation, dass Männer ihretwegen handgreiflich wurden, und auch die Demütigung Tamworths ließ sie nicht unberührt. Ihre Miene zeigte Kränkung und Scham. „Es hatte nichts zu bedeuten“, flüsterte sie Amelie zu. „Ich erzähle es dir später. Er meinte es sicher nicht böse. Ach, noch nie habe ich etwas so Peinliches erlebt.“
Der Vorfall hatte ihnen den Ausflug, der so angenehm begonnen hatte, vollends verleidet, und die Gesellschaft trat in reichlich gedämpfter Stimmung den Heimweg an.
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