Skandal um Lady Amelie
erinnern, Madam, dass wir um Miss Chesters willen hier sind und nicht, um Lady Sergeants Gästen eine Zerstreuung zu bieten, worauf sie eindeutig aus ist. Ich möchte deshalb vorschlagen, dass wir beide einfach so tun, als wären uns die beiden Damen, die Sie so sorgfältig beobachten, völlig gleichgültig. Was ja auch in der Tat der Fall ist.“
Bisher war ihr nicht einmal bewusst gewesen, dass sie die beiden beobachtete, doch nun sah sie ein, wie klug sein Rat war, denn wenn sie hier einen Zwischenfall inszenierte, war höchstens Lady Sergeant über die Maßen zufrieden.
Lord Elyot hatte schon seinen Bruder herbeigewinkt, um ihm ein paar Instruktionen zu geben, doch Amelie legte ihm rasch eine Hand auf den Arm. „Nein“, sagte sie. „Vielleicht ein anderes Mal? Lord Seton“, fügte sie hinzu, „wollen Sie mich nicht zum Tanz bitten?“
„Genau deshalb war ich gekommen“, entgegnete er, sich verneigend. „Machen Sie mir die Freude?“
Schmerzerfüllt schaute Amelie Lord Elyot nach, der unter den Augen seiner beiden früheren Favoritinnen groß und aufrecht, mit raubtierhafter Geschmeidigkeit davonging. Dass diese Damen austauschbar gewesen waren, dass er sie, Amelie, anscheinend so sehr begehrte, dass er sich unlauterer Mittel bedient hatte, um sie zu erlangen, bedeutete ihr in diesem Moment überhaupt nichts. Nur der hineilende Zeiger der Zeit stand ihr vor Augen, der mit jedem vorrückenden Schritt sagte: Wie lange wirst du ihm genügen?
Endlich war der Tanz mit Lord Seton vorbei, doch sie konnte seinen Bruder nirgends sehen. Sie hätte schreien mögen und wäre am liebsten durch das Haus gerannt, um ihn zu finden, ihm eine Szene zu machen, selbst wenn damit alles zu Ende war – zur Hölle mit Lady Sergeant und ihrem boshaften Spiel! Stattdessen sagte sie: „Ich möchte mich ein wenig setzen. Wollen Sie mir eine Erfrischung besorgen?“
Als Lord Seton jedoch schließlich mit einem Glas kühlen Punsches zurückkehrte, hatten sich einige Gäste um sie geschart und unterhielten sich mit ihr, und Lord Elyot näherte sich ebenfalls, wohingegen die beiden ihr verhassten Damen verschwunden waren. Nein, sie würde nicht fragen, was er inzwischen gemacht hatte! Und wenn sie nicht fragte, würde er es natürlich nicht sagen. In ihrem Kopf tobten die Dämonen von Eifersucht, Zorn und Zweifel. Aha, dachte sie, schon wendet er seine Aufmerksamkeit anderen zu. Was kann man erwarten? Einmal ein Frauenheld, immer ein Frauenheld!
Caterina wurde von ihrem Tanzpartner wieder hergebracht, der alle Anzeichen heftiger Verliebtheit zeigte, aber Amelie sah ihrer Nichte an, dass ihr nur an Lord Setons Anerkennung gelegen war und wie sehr sie sich danach sehnte, von ihm noch einmal zum Tanz gebeten zu werden. Doch er tat es nicht, und ihre tapfer getragene Resignation entlockte Amelie Mitgefühl.
Lord Elyot sah, dass sie tröstend den Arm ihrer Nichte tätschelte, nahm sie zur Seite und fragte leise: „Reicht es dir hier?“
„Ja, sehr sogar“, entgegnete sie kalt.
„Sollen wir nach Hause gehen?“
„Ja, bitte.“ Sie musste ihm nicht in die Augen schauen, um zu wissen, was er meinte, denn das „nach Hause“ klang ebenso intim, als hätte er gesagt „ins Bett“. So wütend war sie, dass sie erwog, ihn zur Strafe abzuweisen oder ihn bis vor ihre Schlafzimmertür zu lassen und sie ihm dann vor der Nase zu schließen. Doch das war eine zweischneidige Sache, denn es würde ihr mehr wehtun als ihm. Aber, erinnerte sie sich schmerzlich, ist es mir nicht immer so gegangen?
Die Heimfahrt währte nicht lange genug, um Amelies Ärger abklingen zu lassen, und da Lord Elyot ihre Stimmung durchaus erspürte, ahnte er, was kommen würde. Nachdem die Damen sich von seinem Bruder verabschiedet hatten, winkte er ihm weiterzufahren und trat hinter Amelie und Caterina so selbstverständlich ins Haus, dass er sie überrumpelte, was Caterina veranlasste, unverzüglich ihr Zimmer aufzusuchen. Amelie starrte ihn empört an, da sie jedoch noch keine Strategie entwickelt hatte, ihn fernzuhalten, blieb ihr nur, ihm zu folgen, als er ihr, wie die Höflichkeit es gebot, die Treppe hinauf voranging und in ihrem Schlafgemach verschwand.
Kaum war sie an ihm vorbei eingetreten, lehnte er sich gegen die Tür, als erwartete er, dass sie davonlaufen wollte.
„So, nun möchte ich hören, worum es hier eigentlich geht“, sagte er ruhig.
Sie konnte den Gedanken kaum ertragen, dass er nach der Begegnung mit seinen ehemaligen Geliebten nun
Weitere Kostenlose Bücher