Skandal
daß Sie wissen, daß ich Ihnen für diesen Augenblick auf ewig dankbar sein werde. Ich werde die Erinnerung für den Rest meines Lebens in meinem Herzen tragen.«
»Was, zum Teufel, soll das heißen?« Simon sah finster zu ihr auf.
Emily konnte es nicht ertragen, noch länger in seiner Gegenwart zu sein. Er würde sie zwangsläufig nach dem Grund für ihre Tränen fragen. Sie preßte ihrer Stute sachte die Knöchel in die Flanken, machte kehrt und ritt zur Straße, die zur St. Clair Hall führte.
Die kühle Brise peitschte ihr die feuchten Tropfen aus dem Gesicht, die über ihre Wangen rannen..
Simon gelang es, seine zehrende Neugier im Zaum zu halten, bis Lady Gillingham sich so herrlich unauffällig wie immer vom Tisch erhoben hatte, um die Herren ihrem Portwein zu überlassen.
Sobald die Dame sich entfernt hatte, wurden die Herren prompt locker. Sie lehnten sich auf ihren Stühlen zurück, streckten die Beine unter dem Tisch aus und nahmen ihre Gläser in die Hand. Lord Gillingham zündete sich eine Zigarre an.
Simon bereitete sich darauf vor, das zu tun, was skrupellose Gentlemen seit undenklichen Zeiten getan hatten: bei einer Flasche Portwein über eine Dame zu diskutieren. Er wartete auf einen günstigen Einstieg, der sich ihm auch schnell bot. Gillingham war redselig aufgelegt, da er beim Abendessen bereits eine beträchtliche Menge Bordeaux zu sich genommen hatte.
»Hat Ihnen Ihr Besuch beim Literarischen Zirkel Spaß gemacht?« erkundigte sich Gillingham, als er durch die blauen Schwaden seines Zigarrenrauchs blinzelte.
»Ich fand es interessant.« Simon drehte das geschliffene Kristallglas in seiner Hand und sah zu, wie das Licht sich auf den Facetten brach. »Ganz offensichtlich hat sich die neue romantische Dichtung auch außerhalb von London als die große neue Mode ausgebreitet. Zumindest unter den Damen.«
»Ich weiß nicht, was dabei noch herauskommen wird«, sagte Gillingham mit einem grimmigen Kopfschütteln. »All dieser romantische Unsinn muß doch zwangsläufig sehr üble Auswirkungen auf die Frauen haben.«
»Aber doch gewiß nicht auf die braven Damen von Little Dippington?«
»Nun ja, vielleicht fügt sie den Älteren wie den Schwestern Inglebright und den anderen keinen echten Schaden zu, aber für junge Damen ist das alles andere als gesund.«
»Junge Damen wie Miss Faringdon?« erkundigte sich Simon sachte.
»Dieser verdammte poetische Unsinn hat die arme Kleine ruiniert. Ein Jammer. Aber andererseits hatte sie ohnehin nie große Chancen. Es war nur eine Zeitfrage, wann sie sich in Schwierigkeiten bringt, nachdem ihre Mutter gestorben ist.«
»Ihre Mutter ist vor etwa sechs Jahren gestorben, wenn ich das richtig verstanden habe?«
»Eine ganz reizende Frau. Natürlich sehr schön. All diese flatterhaften Faringdons sehen verflixt gut aus, ob männlich oder weiblich. Mit Ausnahme von Miss Emily. Dieses rote Haar und diese Sommersprossen, verstehen Sie. Und dann kommt auch noch die Brille dazu. Vielleicht hätte man einige ihrer Mängel lange genug vertuschen können, damit sie eine Ballsaison durchsteht, aber das arme Mädchen hat nie eine Chance gehabt.«
»Wegen des Todes ihrer Mutter?«
»Gefolgt von dem unseligen Vorfall«, erklärte Gillingham betrübt.
»Wie schlimm war denn der unselige Vorfall ?« fragte Simon behutsam. Es war jetzt an der Zeit, all die schmutzigen Einzelheiten auszugraben, fand er.
»Reichlich schlimm, wenn man ihrem Vater glaubt. Die arme Kleine.«
»Es ist vor fünf Jahren passiert?« stocherte Simon weiter.
»Ich glaube, etwa um die Zeit. Miss Faringdon war damals neunzehn. Sie hatte ihre Mutter vor etwa einem Jahr verloren. Ihr verdammter Vater und ihre liederlichen Brüder waren ständig fort und haben sie in diesem großen Haus allein gelassen. Einen Faringdon kann man den Spielhöllen nicht lange entreißen, verstehen Sie. Jedenfalls war Miss Faringdon mehr oder weniger auf sich selbst gestellt und hatte außer den Dienstboten niemanden, der ihr Gesellschaft geleistet hätte. Zweifellos war sie einsam. Und niemand war da, der ihr Ratschläge hätte geben können. Das arme Ding war reif für eine Katastrophe.«
Simon griff nach der Portweinflasche und schenkte seinem Gastgeber nach. »Und die Katastrophe ist eingetreten?«
»Die Katastrophe? Und wie sie eingetreten ist. In Form von einem jungen Taugenichts, versteht sich. So ist es doch immer, oder nicht?«
»Doch.« Simon trank seinen Portwein und fragte sich, warum ihm plötzlich
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