Skandal
Sie blickte auf, als sie hörte, wie die Tür sich öffnete. Sie trug ihren abweisenden hochgeschlossenen Chintzmorgenmantel und hatte sich das Haar unter eine weiße Rüschenhaube gesteckt. Ihre Augen wurden hinter den Brillengläsern groß, als sie ihn anstarrte.
»Simon.«
»Guten Abend, meine Teure. Findest du nicht, daß dies ein ziemlich merkwürdiger Ort ist, um dort deine Hochzeitsnacht zu verbringen?« Simon schloß die Tür und ging auf den kalten Kamin zu. Er ging in die Hocke, um das Feuerholz anzuzünden, das dort gestapelt war. »Hier ist es nicht annähernd so bequem wie in deinem Schlafzimmer.«
»Simon, was hast du hier zu suchen?« Emily sprang auf. »Hast du meinen Brief bekommen?«
»O ja, ich habe deinen Brief bekommen.« Simon stand auf und zog das zerknitterte Blatt Papier aus seiner Tasche. Er warf es in die Flammen, die er gerade entfacht hatte. Dann drehte er den Kopf um und lächelte Emily über die Schulter an. »Sehr rücksichtsvoll von dir, meine Süße, in dieser Angelegenheit auf mein ausgeprägtes Feingefühl Rücksicht zu nehmen.«
Emily errötete und schaute auf die Schreibtischplatte herunter. »Es geht doch nur darum, daß ich dich nicht mit meiner überschwenglichen Leidenschaft belasten will.«
Simon stützte einen Arm auf das Kaminsims und betrachtete versonnen seine Frau. Er hatte sich eine Braut geangelt, die sich eingeredet hatte, es bestünde die Gefahr, sie könnte ihren Mann mit Leidenschaft einschüchtern. Niemand anderes als Emily wäre in einer Hochzeitsnacht auf derart abwegige Gedanken gekommen. »Ich möchte, daß du weißt, meine Liebe, daß ich deine Leidenschaft nicht als eine Belastung ansehe. Ich freue mich darauf, meine Pflichten als dein Ehemann zu erfüllen.«
»Das ist sehr freundlich von dir, aber es liegt doch auf der Hand, daß du lediglich deine Pflicht erfüllen würdest, wenn du heute nacht mit mir schlafen würdest, und das wäre mir unerträglich.«
»Ich verstehe. Und du hattest das Gefühl, mir das nicht persönlich erklären zu können? Du mußtest mir eine schriftliche Nachricht hinterlassen?«
»Ich dachte, es sei einfacher, wenn ich schlichtweg diese Nachricht hinterlasse und dir mitteile, daß ich nichts von dir erwarte.« Sie rang die Hände und sah auf sie herab. »Es ist irgendwie peinlich, persönlich über solche Dinge zu reden, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Doch bestimmt nicht bei uns«, sagte Simon sachte. »Wie du hervorgehoben hast, spielt sich unsere Kommunikation doch auf einer höheren Ebene ab. Wir beide, du und ich, uns steht es frei, über Dinge zu reden, die andere Paare nur ganz vage andeuten können.«
»Glaubst du das wirklich, Simon?« Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen.
Simon sah die Besorgnis und die Hoffnung in ihrem Blick, und er lächelte, um eine Woge gelassener Selbstzufriedenheit zu überspielen. Die Dame stand direkt davor, ihm wie ein reifer Pfirsich in die Hand zu fallen. »Ja, Emily, ich bin ganz sicher.« Er trat an den Tisch, auf dem der Cognac stand, und griff nach der Karaffe. »Ich dachte, auch du seist sicher. Schließlich warst du diejenige, die es mir erklärt hat.«
»Nun, ich hatte gehofft, es sei wahr«, sagte Emily freimütig. »Aber nachdem mir aufgegangen ist, warum du mich geheiratet hast, konnte ich nicht mehr ganz sicher sein, daß du dasselbe Gefühl einer reinen, metaphysischen Kommunikation hast wie ich. Zumindest nicht im Moment.«
»Aber du hegst die Hoffnung, daß ich dahin gelangen werde, es so zu erfahren?«
»Oh, ja, Simon. All meine Hoffnungen richten sich auf ein solches Ereignis. Das ist genau der Grund, aus dem ich dich überredet habe, mich zu heiraten. Aber ich möchte nicht, daß du dich bis dahin in irgendeiner Form gezwungen fühlst, die Pflichten eines Ehemannes zu erfüllen. Es ist schon schlimm genug, daß ich dich zu diesem Unternehmen überredet habe.«
Simon hustete, als ihm ein Schluck Cognac in die Luftröhre kam. »Ich versichere dir, daß ich mich nicht zu dieser Heirat überredet fühle, Emily. Ich tue selten etwas, was ich nicht selbst tun will.«
»Das glaube ich gern, aber in dem Fall mußt du einräumen, daß ich ein paar zugkräftige Argumente zugunsten einer Verbindung zwischen uns ins Feld geführt habe. Ich will mein Gewissen nicht auch noch damit belasten, daß ich zudem noch fordere, du solltest zu allem Überfluß deine ehelichen Pflichten im Bett erfüllen. Du hast mir jetzt schon so viel gegeben, schon allein dadurch,
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