Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
»Ich war so sehr damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass sein Onkel Charles Daniel nicht zu sehr beeinflusst, dass ich kläglich dabei versagt habe, ihn vor Tynedale und seinesgleichen zu schützen.«
»Daniel war nicht dein Mündel«, erklärte Talcott unverblümt, »als er sich von Tynedale ausnehmen ließ und danach umgebracht hat.« Drängender fuhr er fort: »Ich weiß, dass du Daniels Vater geliebt hast, ich weiß, dass John dein Lieblingscousin war, und ich weiß, dass du am Boden zerstört warst, als er getötet wurde. Aber nichts davon ist deine Schuld! Weder Johns Ermordung noch Daniels Selbstmord. Himmel, Mann! Du warst ja noch nicht einmal in England, als Tynedale seine Klauen in den Jungen geschlagen hat. Du warst als Spion für Whitehall unterwegs.« Seine Finger schlossen sich fester um Julians Schulter. »Du hast dir nichts vorzuwerfen - lass es ruhen.« Als Julian nicht davon beeindruckt schien, sagte Talcott leise: »Du hast ihn im Duell vergangenen Frühling besiegt und sein hübsches Gesicht mit einer Narbe verunstaltet - und vergiss nicht, du hast die Mittel, ihn zu ruinieren … Wäre das nicht Rache genug?«
Julian lächelte plötzlich, er sah fast aus wie ein gefährliches
Raubtier, das sich auf eine leichte Beute freut. »Wie nett von dir, mich daran zu erinnern. Einen Augenblick gerade eben hatte ich das vergessen.« Er musterte Tynedale. »Ich vermute, dass er inzwischen erfahren hat, dass ich im Besitz all seiner Schuldscheine bin. Er muss verzweifelt sein, so im Ungewissen, wann ich Bezahlung verlangen werde - und er wird wissen, dass ich ihm keinen Aufschub gewähren werde.« Julian wirkte nachdenklich. »Ich hatte gedacht, dass es mir Befriedigung verschaffen würde, ihn so zappeln zu sehen, ehe ich das Geld verlange, aber ich habe festgestellt, dass ich meine Meinung geändert habe. Ich werde ihn morgen aufsuchen.« Er lächelte erneut, aber überhaupt nicht freundlich. »Komm«, sagte er, »lass uns Tynedale für den restlichen Abend vergessen. Ich brauche etwas zu trinken. Gehen wir?«
Normalerweise hätte Nells Abend aus einem beschaulichen Mahl mit Sir Edward bestanden und dann ruhigen Stunden beim Lesen in der Bibliothek. Während ihrer seltenen Ausflüge nach London zog sie es vor, Buchhandlungen aufzusuchen und Museen, denn an dem Wirbel aus Bällen, Soireen und Ähnlichem hatte ihr nie viel gelegen. Da sie zögernd eine Einladung zu einem der letzten Bälle der Saison bei Lord und Lady Ellingson angenommen hatte, folgte ihr heutiger Abend nicht dieser Routine.
Die Ellingsons waren alte Freunde ihres Vaters, einer der Gründe, weswegen sie ihr Kommen zugesagt hatte - das und sein wohlmeinendes Drängen. Glücklich hatte er sie zu der Abendveranstaltung begleitet.
Nachdem Sir Edward sich überzeugt hatte, dass sie unter ihren Freundinnen saß, und Lord Ellingson seinen drängendsten Gastgeberpflichten nachgekommen war, hatten
die beiden Männer sich in das Kartenzimmer zurückgezogen. Erst mehrere Stunden später kam Sir Edward schließlich wieder zurück in den Ballsaal geschlendert, um nach Nell zu sehen.
Es dauerte eine Weile, bis ihm das gelang - sie befand sich halb verborgen in einer ruhigen Ecke, tief ins Gespräch mit einem goldblonden Gentleman vertieft. Er erkannte Lord Tynedale und runzelte die Stirn. Was, zum Teufel, hatte der Kerl hier zu suchen? Dann erinnerte er sich: Tynedale war mit Lady Ellingson verwandt. Lord Ellingson hatte sich mehrmals schon wortreich darüber beschwert, dass er den Tunichtgut in sein Haus einladen musste, um nicht bei seiner Frau in Ungnade zu fallen. Denn die vergötterte den jungen Mann - wie die meisten anderen Frauen auch.
Wenn er seine elegante Erscheinung in einem eng geschnittenen dunkelblauen Jackett und schwarzen Kniehosen, das feine Leinenhemd sorgfältig gestärkt und strahlend weiß, betrachtete, konnte Sir Edward ihm nicht in Abrede stellen, dass er gut aussah. Mit seinen vollen blonden Locken und den weiblich dichten Wimpern bot er einen einnehmenden Anblick. Seine Züge waren aristokratisch, von der geraden Nase bis zu den wie gemeißelten Wangenknochen, und er konnte mit einem gewinnenden Lächeln und geübtem Charme aufwarten. Trotz der eindeutigen Anzeichen in seinem Gesicht für seinen ausschweifenden Lebenswandel und einer dünnen Narbe auf einer Wange war es unter Berücksichtigung all seiner äußeren Vorzüge und seines gefälligen Wesens kein Wunder, wenn Frauen von ihm angetan waren und sogar die
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