Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
weshalb wir hier sind. Zum Teufel mit Ihnen. Wo ist sie?«
Tynedale hatte sich langsam wieder in der Gewalt und erwiderte: »Ich kann erkennen, dass Sie unter großer Anspannung stehen, und aus diesem Grund mache ich Sie nicht für Ihr Tun verantwortlich.« Tynedale hob das Kinn. »Ich fürchte«, erklärte er, »ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Und was ein Frauenzimmer angeht … ich reise allein - Sie haben vielleicht vor ein paar Meilen im Straßengraben meinen Zweispänner gesehen.« Er nickte in Richtung des Wirtes, eines grobschlächtigen Individuums hinter dem langen Tresen, der sie neugierig beobachtete. »Wenn Sie nicht glauben, dass ich allein angekommen bin, fragen Sie ihn. Er wird Ihnen bestätigen, dass ich hier vor vielleicht einer Stunde eingetroffen bin, und dass niemand sonst - ob Frau oder Mann - bei mir war.«
Roberts Hand verkrampfte sich, und Tynedale zerrte an seinen Fingern. »Was haben Sie mit ihr gemacht? Sagen Sie es mir, oder ich erdrossele Sie hier an Ort und Stelle.«
»Äh, entschuldigen Sie, mein Herr«, schaltete sich der Besitzer der Örtlichkeit zaghaft ein. »Hier kehren nicht viele vornehme Herrschaften ein, und ich will mich auch nicht in die Angelegenheiten von Lords einmischen, aber ich kann Ihnen versichern, das, was der Herr sagt, stimmt. Er ist allein angekommen.«
Sich mit dem Wort des Wirtes nicht zufrieden gebend beharrte Sir Edward auf einer gründlichen Durchsuchung des Gebäudes. Es dauerte nicht lange, dann stand fest, dass keine Spur von Nell zu finden war. Auch eine Inspektion des windschiefen Schuppens, der als Stall diente, blieb ergebnislos.
Tynedale behauptete weiter hartnäckig, er sei völlig unschuldig, und das trotz Roberts und der Zwillinge wilder Drohungen. Während die Minuten verstrichen, beschlichen Sir Edward Zweifel. Vielleicht hatte er sich doch geirrt. Nell
war aus ihrem Zimmer entführt worden, da war er sich sicher, und Tynedale war der Hauptverdächtige. War es möglich, dass er sich geirrt hatte? Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. War seine geliebte Tochter von einem hinterhältigen Schurken entführt worden, der etwas Hässlicheres im Sinn hatte als eine erzwungene Hochzeit? War sie am Ende sogar noch irgendwo in London, in irgendeiner Lasterhöhle, wo sie gezwungen wurde, ihren Körper feilzubieten? Er erschauerte. Es war schon passiert, dass hübschen Frauen so etwas widerfuhr, aber für jemanden von Nells Herkunft und Stellung war es doch sehr unwahrscheinlich. Sir Edward konnte nicht glauben, dass ihr das zugestoßen war. Die Tatsache blieb jedoch bestehen, dass jemand Nell in seiner Gewalt hatte. Nachdem Tynedale nicht länger in Frage kam, hatte er keine Ahnung, wer. Und warum.
Aus Tynedale jedenfalls würden sie keine weiteren Informationen herausbekommen, und daher zogen sie sich schließlich finster blickend an einen kleinen Tisch möglichst weit von ihm entfernt zurück, um die Lage zu besprechen. Da sie nicht wussten, was sie als Nächstes tun sollten, entschlossen sie sich, dass Sir Edward und Robert nach London zurückkehren und dabei auf dem Weg weiter nach Nell Ausschau halten sollten. Sie waren einhellig der Meinung, dass Tynedale noch nicht von der Liste der Verdächtigen für die Entführung gestrichen werden sollte. Deswegen und da es schwer zu bewerkstelligen wäre, ihm heimlich mit der Kutsche zu folgen, würden Henry und Drew so tun, als brächen sie mit ihnen nach London auf, würden sich aber in Wahrheit in der Nähe verbergen und Tynedale beobachten, ihm folgen. Es war nicht ausgeschlossen, dass er Nell hier irgendwo in der Nähe versteckt hielt. Und wenn das der Fall wäre …
Der Schmerz in ihrem Bein weckte Nell. Als sie sich in eine sitzende Stellung kämpfte, sah sie Tageslicht in die Hütte fallen, aber es war grau und kalt. Ein Blick zum Fenster zeigte ihr, dass der Tag nicht anders sein würde. Das Schlimmste des Unwetters schien vorüber - jetzt regnete es beständig, aber nicht so wie bei dem Wolkenbruch vorige Nacht. Und Tynedale hatte sie nicht gefunden. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt streckte und reckte sie sich, rieb sich die Augen, verwirrt von den Ereignissen der Nacht.
Der Raum fühlte sich wärmer an, und Nell befreite sich aus Tynedales Umhang, schlug ihn zur Seite. Sie schaute an sich herab auf ihr Nachthemd und verzog das Gesicht. Obwohl sie den schützenden Mantel darüber getragen hatte, war es zerrissen und mit Schlammspritzern und anderem Dreck verschmiert, den sie lieber
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